14.7.

Kurz vor Mitternacht hatte ich als Gutenachtgeschichte aus Das Offene von Giorgio Agamben vorgelesen. Das Kapitel über die Umwelt des Tieres, in dem er sich auf Jakob von Uexküll bezieht. Damit hatte ich sie zum Lachen gebracht, denn dieser Name klingt ja wirklich wie eigens dazu ersonnen: um alle andern aufzuheitern, sobald man, mit diesem Namen vorgestellt, einen Raum betritt. Obwohl es wahrscheinlich zu Jakob von Uexkülls Lebzeiten noch eine der gewöhnlich klingenden Namenskombinationen war.

Und fing also nach einer Weile, während ich las, in einem Sub Channel an, nachzudenken; ausgehend von dem, was dort von Agamben über Uexküll geschrieben stand. Den Aufsatz, speziell jenes Kapitel über die Umwelterfahrung der Tiere hatte ich in den letzten Jahren schon mehrfach gelesen, sodass mein telefonischer Vortrag unter der Aufteilung meiner Aufmerksamkeit nicht zu leiden hatte – sonst hätte ich es mir nicht gestattet! Außerdem hatte ich bereits vor ein paar Seiten mitbekommen, wie aus dem Lauschen am anderen Ende ein konzentriertes Atmen geworden war, das hinter das Eigengeräusch der Leitung, ein Rauschen, geglitten war.

In besagtem Kapitel erklärt Giorgio Agamben das musikalische Weltmodell, das Jakob von Uexküll erstellt hatte, um die Wahrnehmungswelten der Tiere zu erklären – denn er war sich sicher (Uexküll), dass jedes Tier seine eigene Umweltwahrnehmung besitzen musste, die notwendigerweise nichts mit der anderer Arten zu tun haben konnte. Aus seiner jeweiligen Umgebung konstruiert das Tier nach Uexküll vermittels einem Merkorgan, eine Umwelt aus Sinnesreizen, auf die es dann mit einem Apparat spezifischer Möglichkeiten, den Uexküll als Wirkorgan bezeichnet, reagieren muss. Aus dieser Klaviatur entsteht, was von ihm als »die Bedeutungssymphonie der Natur« beschrieben wurde. Als Beispiel führt Giorgio Agamben ein Spinnennetz an: »Die Spinne weiß nichts von der Fliege und kann nicht Maßnehmen wie der Schneider, der das Kleid eines Kunden anfertigt. Gleichwohl bemißt sie die Größe der Maschen ihres Netzes gemäß den Dimensionen des Fliegenkörpers und die Widerstandskraft der Fäden in exakter Proportionalität zur Kraft beim Anprall eines fliegenden Fliegenkörpers. Die Radialfäden sind darüber hinaus solider als die Zirkularfäden, weil diese – im Unterschied zu den ersteren von einer klebrigen Flüssigkeit umgeben – genügend Elastizität besitzen müssen, um die Fliege gefangenzuhalten und sie am Weiterflug zu hindern. Die Radialfäden hingegen sind glatt und trocken, weil sie der Spinne dazu dienen, sich schnellstmöglich auf die Beute zu stürzen und sie endgültig in ihr unsichtbares Gefängnis einzuwickeln. Wirklich überraschend ist der Umstand, daß die Fäden des Netzes genau nach der Sehkraft des Fliegenauges bemessen sind, so daß die Fliege sie nicht sehen kann und in den Tod fliegt, ohne es zu merken. Die zwei Wahrnehmungswelten von Fliege und Spinne kommunizieren auf grundlegende Weise nicht miteinander und sind gleichwohl perfekt aufeinander abgestimmt.«

Hinsichtlich der Aufführung einer Bedeutungssymphonie, dachte ich. Für Menschen könnte das nur die Liebe sein, die dann erklingt. Und versuchte, vom Bild der Fliege im Netz, in Zirkularfäden verheddert, den Vorgang rückwärts zu denken als Annäherung zweier, die noch nicht wissen, dass sie einander zu Liebespartnern werden. Ein absichtsloser Flug für den einen, als ein, so scheint es, universell gestricktes Netz betrachtet sich der andere. Merkorgan und Wirkorgan greifen wechselwierig in die Tasten der fremden Klaviatur. And they’ll take it from there.