15.12.2020

Aus Interesse, aber auch um den Übergang in mein städtisches Ich vor mir selbst zu akzentuieren, begab ich mich am Abend in ein Webinar mit einem Kunsthändler von Sotheby`s. Sein Thema war die Krise des Kunstmarktes, beziehungsweise «Warum es dieses Mal anders ist». Er hat ein Buch dazu veröffentlicht und im Vorraum des Gespräches selbst zeigte sich seine aus Berlin zugeschaltete Verlegerin mit diesem Buch in der Hand vor einem Bücherregal. Der Kunsthändler selbst hatte wiederum eine Allegorie seines Feldes als Szenenbild einrichten lassen. Dort saß man auf einem hochglänzend gefliesten Boden, in dem sich die Stuhlbeine spiegelten. Im Hintergrund war ein massiver Strauß aus roten Rittersternen und Ilex aufgebaut. Daneben hingen zwei alte Gemälde, das eine zeigte eine Infantin im bodenlangen Kleid. Und die Krise des Kunstmarktes ist dieses Mal wohl anders als 1990 (als in Japan der Aktienmarkt kollabierte), 2000 (Dotcom-Blase) und 2008 (Hypothekenblase), weil die finanziellen Mittel der vermögenden Schicht, die für den Kunstkauf in Frage kommen, dadurch nicht angefasst wurden. Die Krise bestünde momentan vor allem darin, die Kunstwerke an diese Leute bringen zu können. Der Kunsthändler bezeichnete die Kunstwerke als mobile Wertspeicher. Und das Zeigen und Verkaufen dieser mobilen Wertspeicher würde durch die Beschränkungen der Corona-Krise erschwert. Krankenhäuser, das ominöse Gesundheitssystem erscheint in diesem Zusammenhang als gemeinsame Sphäre aber deswegen halt auch als Membran zwischen den Vermögenden und den anderen Schichten. Der Ausblick sieht umfassende Umbauarbeiten am System des Kunstmarktes vor, um solche Kontamination künftig ausschließen zu können. Man hat vor, vom Marketing der Luxusgüter zu lernen, so wie auch die Marketingleute der Luxusgüter vom Kunstmarkt gelernt haben «Denken Sie an die künstliche Verknappung, an das Blacklisting».
Für den Kunsthändler bedeutet die Erfahrung der Corona-Krise den von ihm längst ersehnten Schub seines Gewerbes in die Welt des digitalen Handels. Schon heute gibt es für junge Sammler Auktionen online, die 24/7 laufen. Das soll sich nun auch in die älteren Schichten seiner Kundschaft durchsetzen. Die Kataloge werden weniger werden. Dadurch entstehen zunächst Mehrkosten — «Wo wir im Katalog eine Abbildung benötigen, brauchen wir online drei; für Skulpturen einen kleinen Film» — auf lange Sicht entstehen aber Spareffekte: Die ganzen Leute, die ein Kunstwerk in den Saal tragen und wieder heraustragen, die es reinigen und so weiter, braucht es dann nicht mehr.
Ich schaute fasziniert auf dieses sprechende Bild in meinem Rahmen mit der Infantin und den Vasen im Hintergrund (wie in der Schlussszene bei Kubrick und by the way). Webinare sind noch viel besser als Fernsehen. Radikaler irgendwie, weniger choreografiert: Man schaut einfach irgendwelchen Leuten beim Denken zu.
Trotzdem leider leichtes Halskratzen, obwohl ich nicht einmal mein virtuelles Händle gehoben hatte, um mitzuchatten. Vermutlich vom Singen. Ihr Name sei Slippery Elm, die glitschige Ulme.