17.1.

Am Abend traf ich mich mit Moritz in der Mozarellabar, die wirklich so heißt. Dann gingen wir die kurze Strecke zu Fuß in die Schönhauser Allee. Die Diskothek dort heißt Last Cathedral. Es gibt sie schon eine verblüffend lange Zeit, viele Jahre. Dabei ist diese Gegend auf der Talseite der Schönhauser Allee längst gentrifiziert, im Nachbargebäude befindet sich beispielsweise das für seine restriktive policy berühmte Café The Barn von Ralf Rüller. Auf der anderen Seite wird das Last Cathedral von einem Drogeriemarkt (Rossmann) flankiert. Es handelt sich um eine sogenannte Klienteldiskothek. Die Klienten sind, der Name lässt es vermuten, klarerweise Grufties, aber gestern ging es um Mode, denn im Last Cathedral fand die Auftaktveranstaltung der Berliner Modewoche statt. David Roth und Carl Jakob Haupt veranstalteten dort ihre Mottoparty. Motto: Tod.

Die Warteschlange hatte sich bereits um das Drogeriegebäude und beinahe um das um die Ecke gelegene Soho House herumgewickelt. Das ist das Gute an den Partys von David und Carl Jakob: Seit es diese Veranstaltungen gibt, ist die Modewoche danach auch gleich wieder vorbei. Das war vorher nicht so. Man musste dann teilweise noch quälend viele Modenschauen besuchen und sich dann am Mittwoch auf dem grauenhaft langwierigen Cocktailempfang der Zeitschrift Vogue mit Filialleitern einer Mercedesniederlassung auf Sylt unterhalten. Die Modewoche in ihrer alten Form erstreckte sich tatsächlich noch über mehrere Tage und nahm vom Gefühl her tatsächlich eine gesamte Woche in Anspruch. Die von David und Carl Jakob relaunchte Modewoche dauert nur ein paar Stunden einer einzigen Nacht. Aber mittlerweile, seit dem Anschlag auf ein Konzert der Eagles of Death Metal in Paris sind noch nicht viele Monate vergangen, in der Sprache der Mode: nur ein Wimpernschlag, habe ich scheinbar ein für mich neuartiges Gefühl entwickelt: Ich stehe nicht mehr gern in Warteschlangen vor Diskotheken namens Last Cathedral an, in der eine Mottoparty mit dem Motto »Tod« gefeiert wird. Ein Gefühl, das ich teilen kann mit beispielsweise Thom Heise, der damit sogar etwas geschäftlich zu tun gehabt haben wird, und den ich dann an der Bar traf, und der, im Gegensatz zu mir, sich verkleidet hatte mit einem imposant wirkenden Offiziershut. Auch ihm war nicht wohl mit solchen Menschenmassen, die über die Wendeltreppe hinunter in den Raum drängelten. Meldung aus dem oberen Stockwerk: Die Schlange war inzwischen doppelt so lang. Anscheinend gab es im Untergeschoß keine Notausgänge. Allein, das man nach so etwas schaut!

An einem Kreis aus Stahl hingen gehäutete Schafsköpfe über dem Tresen, die, das erzählte Carl Jakob und es schien für das Verständnis wichtig, in einem Koffer aus Aluminium aus Kassel hertransportiert worden waren im ICE. Was mir sehr gefiel, Moritz gab sich anfangs abwartend, dann aber doch hingerissen: zwei Zwerge. Sie hießen Elke und Ulf. Also auch von den Namen her angenehm kurz. Übrigens selbst auch Eltern. Carl Jakob hatte sie über eine Webseite gebucht, die sinnigerweise unter »Kleindarsteller.de« firmierte. Der Job der beiden bestand nun darin, vom Tresen aus, also stehend, eine Flasche Wodka nach der anderen in die geöffneten Münder all jener zu füllen, die sich so etwas schon immer, oder bloß heute, spontan, gewünscht hatten. Das wollten viele. Unschönes Detail: Wie Carl Jakob erst am Abend beim Eintreffen der Zwerge herausgefunden hatte, handelte es sich bei ihnen von der Gesinnung her um Nazis. Also nicht bloß Wutzwerge, schon noch ein bißchen mehr. Aber wie beim Wutzwerg war wohl der Grund bei Ulf und Elke in deren Lebensgefühl des Ausgeschlossenseins zu suchen. An diesem Abend waren sie jedenfalls mittendrin im Geschehen. Aber ob das politisch was brachte, gesinnungsmäßig, muss leider bezweifelt werden. Als wir gingen, schraubte Elke gerade eine neue Flasche auf. Im Eingangsbereich traf ich dann noch auf Larissa, eine Tätowiererin, die auf malerische Übergänge spezialisiert ist (in ihrer Kunst), und die sich dort einen kleinen Arbeitsplatz eingerichtet hatte. Die Gäste durften sich von ihr kostenlos tätowieren lassen. Aber bloß eins von zwei Motiven: entweder Pentagramm oder Totenkopf. Bei unserem Abschied hatte sie gerade Ulf in der Mache, der sich einen Schädel in den Unterarm stechen ließ. Die Warteschlange reichte bis zum gelblich flimmernden Horizont.

In der U-Bahnstation Rosa-Luxemburg-Platz werden historische Fotos als Wandschmuck ausgestellt und auf einem dort erfährt man, dass es vor hundert Jahren hier noch eine Zigarettenmarke gab, die hieß »Problem«.