17.10.2020

Die Bäume am Europagarten — war das am vorigen Wochenende oder an einem davor, dass ihr Kleid noch golden flimmerte — inzwischen waren sie zu Transvestiten geworden. Der Blick von der Bühne, mitten im Strip, zeigte nichts als leere Stühle und Krähen; nun wussten sie nicht recht, wie weiter: Soll ich, oder lass‘ ich’s lieber sein?

Die Zeitung knatterte im Wind. Der Bundespräsident hat beschlossen, die Paulskirche renovieren zu lassen. Von der AFD, die ein Konferenzzimmer nach der Paulskirche benannt hat, will man sich die Sprache aus Zeichen und Symbolen nicht länger umdeuten lassen. Frau Grütters, die während ihres Besuches in unserer Stadt schon den teuersten Beckmann aller Zeiten (ein Gemälde, ein Selbstporträt) als Gabe für die Sammlung des Städel Museums in die Kamera gehalten hat, will gleich neben Paulskirche ein sogenanntes Haus der Demokratie bauen (lassen). Ich freute mich schon! Erinnerte mich freilich, wenn auch nur blitzhaft, an das Haus der Geschichte von Helmut Kohl (nicht in Brake, Bielefeld, aber back in Berlin). Das war kein Erinnern, es war ein Entsinnen.

Die Jugend von heute saß derweil schräg vor mir. Schräg schaut es für meine alten Augen noch immer aus, wenn jemand irgendwo draußen videotelefoniert. Welt am Draht: Das war einmal die Zukunft. Wo bleibt der Rest?

Sie unterhielten sich auf dreifache Weise verschlüsselt. Auf Französisch und Englisch und — für die Flüche, aber vielleicht waren es auch Ausrufe ihres Erstaunens: Arabisch. Die andere, das Gesicht auf dem Bildschirm wurde also mutmaßlich aus Marokko, Tunesien oder Algerien herangefunkt. Ersteres war der Fall, wie es sich im Laufe des Videogesprächs herausstellen sollte. Es ging um das Corona-Management dort. Die Hiesige erwies sich als harsche Kritikerin der politischen Führung in der Heimat ihrer Eltern. Das Lob der Führung hierzulande fasste sie zusammen in dem Dreisatz: «Niemand weiß genau Bescheid über dieses Virus. Die Politiker müssen die Regeln machen, aber natürlich kennen sie sich auch nicht besser aus. Wir müssen jetzt alle selbst denken und handeln.»

Mir ist es immer latent unangenehm, wenn ich mit Assimilierten konfrontiert werde. Soll ich es manierlich finden dürfen? Eben noch hatte ich am Glas einer Bushaltestelle den Kleber der linksjugend [solid] studiert: Neben der Zeichnung einer Brünetten mit pornöser Brille stand: Kontrolletti?! keine Hektik… Es passiert allen mal. Ticket vergessen, nicht abgestempelt oder einfach keine Zeit oder Kohle gehabt, um eins zu kaufen. Wenn die Kontrollettis jetzt nur lange genug brauchen würden, dass man sich an der nächsten Station schnell verdrücken kann… Damit andere eine Chance haben: Lass dir Zeit. Hol das Ticket erst raus, wenn du persönlich gefragt wirst und auch dann weißt du sicher nicht sofort, in welcher Tasche es steckt. Zeig Solidarität mit Menschen ohne Fahrschein!

Links war ich also auch nicht mehr.