17.2.

Am Beispiel dieses Bildes eines Tukans. Wie er da sitzt auf dem Rand einer Trinkschale aus transparentem Kunststoff, in der sich eine Schicht Wasser befindet. Darunter, am Boden, ist der gelbliche Ton des Sandes zu sehen. Die Wirkung dieser Farbfläche ist beruhigend. Man nimmt den typischen Farbton wahr und schließt von ihm auf Käfighaltung; aber Zoo, professionell. Der kleine, grasgrüne Gegenstand aus Plastik, der sich an der Wasserschale befindet, eventuell handelt es sich um ein Ventil, um eine Halterung, ist ebenso wichtig. In seiner Funktion im Leben des Tukans wahrscheinlich nicht so sehr wie in seiner Funktion in diesem Bild.

Den Schnabel schaue ich lange an. Natürlich. Zu Anfang kurz, ganz einfach, weil er um so vieles länger scheint als das übrige Tier. Auf den ersten Blick wie dranmontiert. Dann genauer nachgedacht: Nein, das war eine Idee, die nicht vom Hinschauen ausgelöst wurde. Keine Erkenntnis aufgrund des Geschauten. Dass der Schnabel des Tukans wie dranmontiert erscheint ist ein Witz. Dieses Bild eines Tukans weist auf anderes hin.

Sein Auge, die Umrandung vielmehr. Der hübsche Doppelkreis aus Weiß und Rot. Dass selbst diese Linien aus Federn entstehen! Aus der Art wie sie gemustert sind im Einzelnen. Aus deren Anordnung, wie sie sich legen, entstehen die Ornamente. (Der Tukan kann seine Federn auch sträuben wie jeder Vogel, wie ein Pfau, aber ob er das willkürlich kann; also um partiell andere Muster hervorzurufen, insbesondere rings um seine Augen herum, das möchte ich bezweifeln. Ja, das möchte ich. Weil es mir unheimlich vorkäme, wenn er das tatsächlich könnte – wozu?)

Unweigerlich sehe ich einen Pinsel und eine Hand, die diesen Pinsel mit dem spitzen Griff ganz ruhig um das Auge des Tukans führt, um ihm den Kreis in Weiß, um den in Rot am Augenrand anzubringen. Um ihn, den Tukan zu vollenden. Und ich sehe seine Augendeckel einmal auf- und wieder zuklappen. Eine zarte, ledrig eingefaltete Haut wie von einem winzigen Elefanten. Dies unerschütterliche Blinzeln – ungerührt fährt der Tukan fort, mich anzusehen – ist Fiktion. Einbildung. Auch die Hand mit dem Pinsel gibt es nicht. Den Augenblick der Vollendung. Die eilig entgrateten Kunststoffsorten in verschiedenen Farben, Blau unter anderem, milchiges Orange, aus denen sein Schnabel zusammengesetzt wurde. Alles eingebildet. Ich habe mir all dies eingebildet, während der Betrachtung dieses Bildes.

»Schau noch mal hin«, sagt Wolfgang Tillmans. Look again! Das Bild eines Tukans ist ein Gedicht. Von Durs Grünbein war gestern ein schönes auf der ersten Seite des Feuilletons. Ich hatte es lange übersehen, so dekorativ war es mit seinem Rahmen in einen großen Text eingesetzt. Ich las das Gedicht wieder und wieder, es schien mir dafür gemacht. Speziell ich sollte es so lange lesen, bis sich der erste Anflug von Sinn davongemacht hatte. Verflogen. Er, das lyrische Ich, wünscht sich Reptilienhaut.

Look again. Nicht alles lässt sich durchdringen. Manches bleibt zu. Ich verstehe nicht, weshalb der Palast der Republik abgerissen wurde – und jetzt wird die Landshut gekauft.