17.3.

Der Tagesspiegel hatte einen Text von Ulf Erdmann Ziegler auf zwei ganzen Seiten. Er hat ihn nach seiner Berliner Zeit in Frankfurt geschrieben und erinnert sich darin an die Pariser Straße, in der er viele Jahre gelebt hatte. Das liest sich genau so, wie ich es in der Zusammenfassung beschreibe, ohne besonderen Anlass, warum denn auch nicht. Es war sogar so, dass dort in diesem Text ein freies Durchatmen möglich war. Die Doppelseite selbst war innerhalb der Zeitung zu einem Platz geworden, um den es drumherum rauschte und geschäftig zuging, nur der Schreiber saß davon ungestört da, in seiner Wohnung oben, schaute durchs Fenster auf den Platz und seine Straße und dachte und schrieb. Die Schreibtischsituation wurde auch beschrieben, sodass ich mir das alles gut vorstellen konnte. Dazu gab es eine Fotografie von Ulf Erdmann Ziegler, die eine Straßenlaterne aus jener Zeit vor einem sommerlich blauen Nachthimmel zeigte, die der Doppelseite noch zusätzlich eine Atmosphäre der Gemütlichkeit brachte. Verstärkt auch noch durch den stürmischen Wind draußen, der auf dem Wasser richtigen Wellengang mit Schaumkronen erzeugt hatte. Gebeugte Menschen stemmten sich gegen die unsichtbare Macht und immer wieder fielen vor dem kleinen Café die Eimer mit den Bambussträuchern um. Nach ein paar Malen gab man es auf, ließ sie dort liegen und sie wälzten sich hin und her, mit raschelndem Geräusch. Und mir fiel wieder einmal ein, dass beinahe alle Straßen, in denen ich bis heute jemals gewohnt hatte, eigenartig kurz gewesen waren. Also nicht bloß Stichstraßen, manchmal war es auch nur ein Abschnitt gewesen und nach einer Wegkreuzung verlief die Straße dann unter einem anderen Namen weiter. Ausgesucht hatte ich mir das nicht. Meine erste Straße, die Adresse weiß ich noch heute auswendig, die Telefonnummer auch, war schlaufenförmig gebogen, von oben betrachtet, was man damals als hufeisenförmig beschrieben hat.

Angesteckt oder -regt von Ulf Erdmann Zieglers Straßenerzählung, hörte bei mir das Erinnern an meine Straßen nicht mehr auf. Mir fielen immer wieder neue Details ein, beispielsweise, dass ich einmal sogar in einem Haus gewohnt hatte, das zwischen zwei Straßen, die eine kurz, die andere megalang, gebaut worden war, sodass ich mir immer aussuchen konnte, ob ich den Eingang von der einen her, oder von der anderen, ob ich die eine Tür aufschließen wollte, oder die andere. Nur in Ausnahmesituationen hatte ich dieses Haus von der langen Straße her betreten.

Mittlerweile war es schon wieder dunkel geworden und ich ging eine Straße, die durch den Grunewald führte, hinab. Der Wind hatte sich verzogen, der Bürgersteig war bedeckt mit den Spitzen von Kiefernzweigen, weil diese Straße an beiden Seiten von Kiefern bestanden ist. Der Wind hatte die mit langen weichen Nadeln behängten Zweigspitzen abgezwickt und zu Boden geschleudert. Mich erinnerten die halt leider noch einmal, bestimmt auch noch nicht das letzte Mal an die peinliche Begegnung von Max Goldt und Dennis Scheck, wo er, Goldt, von Scheck auf seine peinliche Wortschöpfung angesprochen wurde, die ich so gerne vergessen würde, weil ich sie nicht nur nicht schön finde, sondern aufdringlich. Schon von ihrem Bedeutungszusammenhang her, aber dann noch einmal auch von ihrem Klang. Besonders schlimm klingt sie in dieser Szene: Max Goldt hält ein Glas mit einer farblosen Flüssigkeit, eventuell ist es Alkohol, in der Hand und hört leicht genervt zu, was jetzt kommt, wenn Dennis Scheck Klofußumpuschelung ausspricht. Und dabei findet Dennis Scheck selbst es natürlich extrem lustig, sein Gesichtsausdruck könnte als süffisant beschrieben werden oder mokant. Daraufhin dann Max Goldt, der sich seriös zu seiner Wortschöpfung äußert, die Funktion kurz erläutert, Stellung bezieht und sie dann einordnet in die Werkgeschichte, ihr dort einen Platz zuweist. Ich musste mich regelrecht auf Ulf Erdmann Ziegler besinnen, um wieder frei durchatmen zu können.

Noch vor dem Morgengrauen, kein einziges Auto mehr auf den Straßen, flogen aus den vom Nachthimmel unsichtbar gemachten Baumkronen die Vogelklänge hin und her.