17.9.2019

«Wer eine Wohnung sucht,» schreibt Martin Mosebach in Der Mond und das Mädchen «hat es mit einem der seltenen Augenblicke zu tun, in denen der Mensch wirklich glauben darf, über die Zukunft seines Lebens zu entscheiden». Gestern, wir trafen uns absichtlich auf meiner Lesung bei Gudrun, offenbarte er sich mir auf Nachfrage hin noch immer als Wohnungssuchender in Frankfurt—beziehungsweise: Er habe doch noch gar nicht angefangen mit dem Suchen! Zunächst verbrachte er die Wochen nach dem Unglück an Weihnachten 2018 in Rom, daraufhin folgte eine längere Zeit auf der ägyptischen Insel Elephantine, den Sommer über «lebte und arbeitete er» wie es in den Verlagsbiografien formuliert wird, auf Hydra. Gleich nach diesem Abend, deutete Mosebach an, geht es für ihn in eine Hafenstadt an der marokkanischen Atlantikküste. Auch deswegen nimmt er nicht an den diesjährigen Feierlichkeiten der Frankfurter Buchmesse teil. Trotz, oder vor allem auch, weil die Norwegische Königin ja angekündigt hat, mit einem Salonwagen voller norwegischer Literaten im Frankfurter Hauptbahnhof einzulaufen. Und dann gibt es halt auch noch das Problem mit dem Obdach.

Ich sprach ihn auf das Zitat an. Er machte diesen liebenswert aufjaulenden Ton und gab mir zu bedenken: «Das ist aus dem Jahr 2007. Heute ist es gerade anders herum.»

Ein anderer Gast, den ich aber nicht kannte, und der uns zuvor geradezu geheimnisvoll angekündigt ward als «Bonner, Loriot-Liebhaber und Mops-Besitzer», stand mir gegenüber und ich dachte, es handelt sich vielleicht um diesen Wichtigtuer Wong aus Hongkong in einer rapide gealterten Version, da die untere Hälfte seines Gesichtes wie bei dem entsprechenden Emoji von einer grünlichen Atemschutzmaske verdeckt blieb. Mich dumpf muffelnd grüssend, starrte ich fasziniert auf das an- und abgesaugt Werden seiner Papiermaske. Er behielt die auch die Zeit während meines Vorlesens über auf. Vorlesen an sich: schwierig. Jedenfalls, sobald es den privaten Rahmen von einem, maximal dreien an Zuhörern überschreitet.

Trotzdem entwickelte sich ein ungeplant schäumender Abend, von dem mir vor allem die heiteren Gespräche mit Kerstin Holm, die ich bis dahin bloss als Autorenzeile kannte, im Gedächtnis geblieben sind. Der Flair und die intellektuelle Qualität solcher privat organisierten Abende in Frankfurt sind ja eigentlich der Grund, weshalb in den neunziger Jahren so viele nach Berlin gezogen sind, bloss um dann ihre Hoffnungen in den sogenannten Salons von Britta Gansebohm et al enttäuscht zu finden. Hier aber, einst mit dem Suhrkamp Verlag und der Universität geistiges Zentrum der BRD, hält man die Fahne am Flattern. Wie aus den jüngsten Presseberichten ersichtlich, kriegt Berlin als Euphemismus selbst Suhrkamp klein. Die Rücknahme wird allerdings schwierig werden. Oder wie Hendrik Borggreve gestern völlig zu Recht fragte: «Worin besteht Ihre Botschaft»?

Frau Holm, resolut: «Jedes Kunstwerk wird keine Botschaft haben.»