18.11.

Links entgegen der Fahrtrichtung wäre richtig gewesen. So kam der Stausee, bei dem es sich um die Kinzigtalsperre handelte, halt nicht auf mich zu, sondern war irgendwann einfach da. Auch nicht schlecht. Da hatte unser Zug bereits eine Verspätung von einer halben Stunde auf sich versammelt. Kurz nach der Sperre, während eines unplanmäßigen Aufenthaltes auf dem Bahnhof einer Ortschaft namens Schlüchtern, häufte er davon noch weitere vierzig oder so an, sodass wir mit einem Verspätungskontingent von krassen 78 Minuten ins Rennen gingen. Mein Vater wäre durchgedreht. Dabei gab es einen traurigen Grund für den erneuten Aufenthalt: Der ICE vor uns hatte eine Kuh überfahren! Vermutlich dauerte es deshalb auch vierzig Minuten, bis die Strecke wieder freigegeben werden konnte (so eine Kuh ist ja reichlich groß und ständig vollgefressen, das Euter sozusagen zum Zerreißen gespannt, der ICE, das kommt noch erschwerend dazu: rasend schnell).

Schweigend hatte mein Vater mich zum Bahnhof gefahren, weil meine Mutter einen Termin auf dem Friedhof wahrnehmen musste. Müde und mit Gold behangen, säumten Lärchen unseren Weg. Gleich hinter Münchingen macht die Schnellstraße schon seit ich denken kann eine Linkskurve, die einfach nicht enden will; das fiel mir gestern erst wieder ein, wie oft ich doch schon in dieser Kurve fahrend gedacht haben musste, dass die Kurve nicht mehr aufhören würde. Aber irgendwann hat sie bislang doch aufgehört und dann sind dort die Tunnel von Feuerbach. Als Verfilmung meiner Jugend wäre eine Endlosschleife dieser nicht enden wollenden Kurve durchaus statthaft. Und dazu ein bisschen Scheibenwischerquietschen und eine vorfreudige, sich auf das Ende der Kurve hörbar freuende Musik (beispielsweise Jumping Someone Else’s Train).

Mein Vater findet diese Frau attraktiv, die mit ihrem Gesicht deutschlandweit auf allen Automaten für biometrische Passbilder wirbt. Ich nahm es als Zeichen für seinen Geschmack auf der Höhe der Zeit. Wir waren ja unter uns.

Auf einer digitalen Werbetafel erschien uns zum Abschied ein Rezept für ein sogenanntes Zupf- oder Pull-Apart-Brot. Dafür nimmt man ein ganzes Brot, schneidet es kreuzweise tief ein, aber so, dass der Brotboden die Schluchten noch zusammenhält. Die Einschnitte werden mit Käse und Lauchzwiebelringen gefüllt. Käse und Schinken geht natürlich auch. Im Ofen erhitzen, bis der Käse geschmolzen ist. Im Ganzen servieren. Beispielsweise auf einem Brett.

Na ja. Kurz vor Hildesheim zauberte Friederike einen edelsteinartig glimmenden Himmel, der eine geradezu afrikanische Wolkenvielfalt hatte – vom Schäfchen über die Strähne; Rosentüpfel, linealglatter Kondensstreifen und düster quellender Hecke: es war für jeden was dabei –, der mich nicht nur trösten konnte, sondern mich mit dem ganzen Schlamassel versöhnte. Und zwar voll und ganz.