19.10.2019

Das Ganze war natürlich wieder einmal nicht ganz so grossartig, wie ich es mir ausgemalt hatte. Als ich am Vormittage in dem nahe des Erzeugermarktes gelegenen Schnellrestaurant eingetraf, war dort nirgends ein Schild oder ein Banner aufgehängt, das auf die Feier des Aktionstages Chicken Mc Nuggets hingewiesen hätte. Es sah dort drinnen aus wie immer bei Mc Donalds, also auch wie immer bei Mc Donalds überall sonst auf der Welt. Und draussen war schönstes Wetter. Als mir die Tresenfrau dann auch noch erklärte, dass ich erst dann einen Anspruch auf die eine, auch nur einzige und einmalige Ausgabe der vergünstigten Knusperli samt Saucen anmelden dürfte, wenn ich mir zuvor die App von Mc Donalds herunterlüde, um ihr dann, nach meiner dort erfolgten Registrierung mit Klarname, Emailadresse et cetera, den dort in der App angezeigten Gutschein vorzuzeigen, hatte ich keine Lust mehr. Noch nicht einmal mehr auf Chicken Mc Nuggets zum regulären Preis. Und dabei hatte ich am Vorabend und die Nacht hindurch bis zu dem Moment, da ich die Schwelle des Restaurants übertreten hatte, den allergrössten Appetit von allen auf sie gehabt. Da allerdings hatte ich sie mir noch in Mannigfaltigkeit und beinahe frei verfügbar vorgestellt; füllhornhaft. Und hatte sogar schon erwägt, nicht nur mehrfach an diesem Aktionstag in unterschiedliche Filialen zu gehen, um mir dort vom Aktionstagsangebot abzuschöpfen, sondern auch unsere Nachbarn zu fragen, ob ich in ihrer Tiefkühltruhe einen Teil meines Chicken-Schatzes einfrieren dürfte.

Nur in den wenigen Stunden, in denen wir gestern Abend bei der Feier der Redaktion von Titanic in dem Ruderklub gewesen waren, hatten sich meine Nuggetgedanken verzogen. Das Buffet dort war nämlich wie in jedem Jahr von Kristin Eilert selbst hergestellt worden. Die freilich hatte mich zuerst gar nicht wiedererkannt, weil ich ja so stark zugenommen habe. Und dann noch die neue Brill‘. Jedenfalls schob ich gerade einen grossen Löffel in eine zimbelförmige Schale, gefüllt mit darin dargebrachtem Salat aus kandierten Walnüssen und pikanten Linsen, als sie zu mir sagte «Moment, das Buffet ist noch nicht eröffnet». Erlaubterweise deckte ich mich mit ihren Hors d’heuvres ein, jenen himmlisch buttrigen Hubertushörnchen, die ich mir auf dem Weg zu unserem Sitzplatz im Bug des bootsförmigen Clubgebäudes mit veritablen Rollgriffen einverleibte. Diese Buttrigkeit ihres Blätterteiges, erklärte Kristin uns dann einige Zeit später, als alle um uns herum schon sehr betrunken waren, wie das bloss unter Satirikern noch in solch verschärfter Form üblich ist, kommt ganz einfach daher, dass sie den Blätterteig der Hubertuskipferl selbst tourniert. Und zwar mit französischer Butter. Mehrere Wochen nimmt sie die Zubereitung der Schlemmereien für die alljährliche Titanicparty in Anspruch. Unter anderem ein Grund, weshalb bei ihr daheim in ihrer Küche drei Tiefkühlschränke stehen. Und eine alljährliche Titanic-Weihnachtsparty mit Buffet gibt es übrigens auch.

Ungefähr da, an dieser Stelle, fielen mir meine Nuggets wieder ein. Kurz darauf meinte Kristin irgendwo in der schäumenden Menge ihre Schwester entdeckt zu haben. Der mir gegenüber sitzende Dokumentarfilmer erzählte von einem spektakulären Zweiteiler über Ernst Jünger, den es demnächst bei Arte zu sehen gäbe. Bevor nun gleich das Thema Handke aufs Tapet gebracht würde, brachen wir auf.

Die Nacht war schön und klar. Der Morgen auch. Ich ging dann über den Markt wie immer. Am Apfelweinstand fragte ein dicker Kunde mit kritischem Blick den Apfelweingutsbesitzer, wie der diesjährige Rauscher «herausgekommen» sei. Der Gutsherr: «Meiner hat Niveau». Ein Haufen Tauben machte sich gleichzeitig auf und hinauf in die taubenfarbige Luft.