19.2.2020

Die Quelle meines Farnwunsches ist das Erinnerungsbild eines Farnes, den es bei uns zuhause gab. Ich glaube, er wuchs aus einem weissen Übertopf mit Riefen, sicher bin ich mir aber nicht. Wie alle meine Erinnerungsbilder ist es vage. Vom Gefühl her, das es auslöst, freilich nicht — das ist heimelig, zusprechend, konstruktiv. Aber wo genau hatte dieser Farn seinen Platz? Gab es ihn schon in der ersten Wohnung unserer Familie, in der ich meine ersten anderthalb Jahre verbracht habe? Wurde er dann von Bietigheim mit nach Heimerdingen umgezogen und dort, Jahre später, noch einmal innerhalb der Ortschaft selbst? Nicht einmal, ob es ihn heute noch gibt, könnte ich, ohne daheim anzurufen, sagen. Eiben können wohl bis zu 5000 Jahre alt werden. Und Farne?

Bei unserer Fahrt von Port Antonio nach Kingston machte unser Fahrer Omar auf mein Bitten hin Halt auf halber Strecke in Berge. Die Abhänge waren an dieser Stelle schon schluchthaft steil und von wildem Grün überwuchert, es gab nirgendwo das Gestein freiliegend zu sehen. Die Gipfel der Blauen Berge sind spitz zulaufend, wie von Kinderhand umrissen, sodass ich mit die Entstehung Jamaikas als silvestrische Szene vulkanischer Ausbrüche ausmalte, während ich hinter der Hütte eines Rasta-Bergbauern mein Wasser abschlug. Diese Rastafaris der Berge sind übrigens mit dem Anbau und der Weiterverarbeitung ihrer Kaffeepflanzen beschäftigt, die sogenannten Ganja-Pflanzen, Cannabis sativa, werden im Garten hinter dem Haus angebaut, vergleichbar den Kaiserkronen und Christrosen in den Hausgärten unserer Bauernhöfe.

Gleich neben dem geparkten Auto ragte eine urtümliche Palme auf. Die hatte ich beim Verlassen des Gefährts übersehen; nun, da ich mich dem herrlichen Ausblick in die jamaikanische Bergwelt mit deutlich mehr Muße widmen wollte, fielen mir vor allem ihre eigenartigen Wedel auf: Die waren nämlich wie die Arme eines Farns. Wie auch der Stamm dieses Palmstrauchs mit jenem pankoflockenhaften Gewebestrumpf bezogen schien, wie er sich dicht am Waldboden um den Ursprung der Farne zeigt. Es gab natürlich jede Menge Zweifel, doch konnte es sich bei diesem palmenartigen Farn tatsächlich um eine Art lebendes Fossil aus dem Erdenalter der gewaltigen Gewächse handeln. Ich machte eine Filmaufnahme der Farnpalme im Zeitlupenmodus, um das beschwichtigende Volantisieren ihrer Wedel hervorzuheben. Ich mache selten Filmaufnahmen.

Über die Jahre lernt man, besser hinzuschauen, «vielleicht auch genauer fühlen» schreibt Friederike heute. Einerseits bin ich kein Freund biologistischer Thesen, beispielsweise, dass mit zunehmender Lebenszeit das Langzeitgedächtnis an Bedeutung gewinnt, andererseits weiss ich nicht, ob Friederikes Vermutung auch auf mich zutreffen könnte. Mir kommt es nicht so vor, als ob ich in dieser Hinsicht etwas hinzugelernt habe. Und wenn, dann vor allem, wofür ich mich wirklich interessiere. Beziehungsweise, das klingt nicht so triumphal: wofür alles nicht.