19.3.

Im letzten Teil seines Liebesbuches führt José Ortega y Gasset den wahnsinnig schönen Gegenstand einer Saugpumpe ein. Das heißt, sein Übersetzer tut es. Ich kann kein Spanisch und besitze von diesem Buch auch nur eine deutsche Ausgabe. Es war 1933 zuerst in der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart erschienen – »vor der spanischen Buchausgabe«, wie es im Vorsatz heißt.

Er schreibt: Daher trägt jede Verliebtheit den Keim einer Besessenheit in sich. Sich selbst überlassen, steigert sie sich automatisch bis zur äußersten Möglichkeit. Das wissen die ›Eroberer‹ beider Geschlechter sehr gut. Ist die Aufmerksamkeit einer Frau einmal durch einen Mann fixiert, so ist es diesem sehr leicht, all ihre Gedanken zu erfüllen. Es genügt das einfache Spiel des Haltens und Lassens, des Verwöhnens und Vernachlässigens, der Gegenwart und Ferne. Das Auf und Ab dieser Technik wirkt wie eine Saugpumpe und entleert sie schließlich von der ganzen übrigen Welt.

Im anschließenden Kapitel »Verliebtheit, Ekstase und Hypnose« wird es noch irrer. Johannes vom Kreuz wird zitiert, der gepredigt haben soll: darum befahl Gott, daß der Altar, auf dem das Opfer dargebracht wurde, innen hohl sein sollte, damit die Seele begreife, wie leer von allen Dingen Gott sie wünscht!. Um dann, man merkt es kaum beim Lesen, derart freundlich und auch mit angenehm sonorer Stimme wird es einem erzählt, die Verscheuchung der Dinge vom Altar des Herrn mit der Saugpumpe zusammenzudenken. Die Liebenden saugen sich gegenseitig den Verstand ab, um jeweils im Bewusstsein des anderen Platz füreinander zu schaffen. Nicht etwa nur für sich, auf dass der vom einen Besessene nur noch an den anderen denken müsste; füreinander. José Ortega y Gasset argumentiert, dass es sich bei Liebe nicht um einen Zustand handelt, sondern um ein beständiges Quellen und Überfließen: Die Seele fühlt sich beunruhigt und zart verwundet durch einen Stachel, der sich vom Objekt her auf sie richtet. Eine solche Anstachelung hat also eine zentripetale Richtung; sie kommt zu uns vom Objekt her. Aber der Liebesakt beginnt erst nach der Erregung, besser: Reizung. Aus der Wunde, welche der aufreizende Pfeil des Objekts geöffnet hat, quillt die Liebe und wendet sich aktiv dem Objekt zu; sie bewegt sich im umgekehrten Sinn wie der Reiz und wie jeder Wunsch. Sie geht vom Liebenden zum Geliebten – von mir zum anderen – in zentrifugaler Richtung. Dieser Charakter, sich seelisch in Bewegung zu befinden, auf dem Weg zu einem Objekt, dies unaufhörliche innere Hinwandern vom eigenen Sein zu dem des anderen, ist der Liebe wesentlich.

Das würde man heute anders schreiben. Manchmal geht es auch um physische Vorgänge und dann ist von einer dritten Hirnkammer die Rede, oder von Säften. Überhaupt kann man heute kein Buch mehr über die Liebe finden, in dem es nicht um Hirnfunktionen und Hormone geht. Die meisten davon habe ich zumindest durchgesehen, aber wirklich weiter ist die Forschung und insbesondere die Philosophie noch immer nicht. Von daher fand ich es zum einen verständlich, dann aber schon auch superdämlich, als im Stream von der Buchmesse gestern diese Moderatorin in der gelben Lederjacke (auf einem blauen Sofa!!!) Johanna Adorján fragte: »Und, Frau Adorján, jetzt, nachdem sie dieses Buch geschrieben haben, sind sie eine Expertin für Liebe und anverwandte Fragen?«

Was hätte sie da sagen sollen – klaro, fragen sie mich ruhig, ich weiß jetzt Bescheid?

Die Antwort war viel besser, denn selbst Helen Fisher weiß ja in Wahrheit noch immer gar nichts. Also lächelte Johanna Adorján und sagte, dass die Liebe ein Rätsel für sie ist.