19.5.

Auf einem nachmittäglichen Waldspaziergang sammelte ich die jungen Blätter von Buchen, Himbeeren, Brombeeren und ähnlich rundblättrigen Gewächsen. Die Blätter müssen noch transparent sein und so klein wie ein Daumennagel ungefähr. Das hatte ich in einem Fernsehbericht über die älteste Künstlerkolonie Deutschlands gesehen, einem Fachwerkdorf in Hessen. Die töpferten dort ganz hübsche Teller und Tassen. Namensschilder auch. Vor allem aber drehte sich der Beitrag um deren traditionelle Küche, und das interessiert mich ja, so etwas sehe ich mir sehr gerne an. Jedes Gericht enthielt ein Pfund fetten Speck, ein Pfund Zwiebeln, ein Pfund Schmand. Die Erzählerstimme immer ganz beschwichtigend zu den Bildern hackender, rührender, Schmand verstreichender Hände: »Die Bewohner dieser Region haben immer schwer gearbeitet, da war abends kräftige Kost gefragt«. Dann wurde ein grüner Salat angekündigt (ein Pfund Schmand mit gehackten Zwiebeln, Essig, Öl, Zucker und Salz vermischen, emulgieren. Zwei, drei Kopfsalatherzen in Stücke brechen und unter die Salatsauce heben). »In der Schwalm ist natürlich selbst der Salat kein Schlankmacher«, während die Kamera längst bei der Großmutter war, die mit geübten Stößen sechs Laibe Brot in den Keramikofen einschoss (weil der wohl heißer bäckt und die Brote somit extraknusprig).

Ich schaute das und stellte dabei fest, dass in mir bereits der Wunsch entstanden war, diese Ortschaft zu besuchen, mich dort im windschiefen Malerhäuschen einzumieten und den ganzen Tag mit diesen Keramikkünstlern unter den Aprikosenbäumen zu essen. Kann gut sein, dass ich das mit einer anderen Folge verwechsle, in der es zu den Aprikosenbauern Österreichs geht, wo dem Aprikosenbauern seine Frau gerade erst frisch gestorben ist bei einem Verkehrsunfall und er dann abends auf dem Ansitz über das Leben nachdenkt, bevor er das Wildschwein, das in den Aprikosenplantagen dieser Region zu jener Zeit des Nachts so schlimm wütet, nicht erschießt. Hat mir auch gut gefallen. Oder die Folge im Norden Albaniens The Accursed Mountains, wo sie schon vor Sonnenaufgang morgens den Schafen die Milch abnehmen, um dann mit einem Extrakt aus dem Mageninhalt junger Lämmer und der Milch ihrer Mütter einen Käse zu pressen, der – und dabei weist die Kamera aus dem unverglasten Fenster hinaus auf eine herrlich bunt bestandene Wiese »Der Blutracheturm wurde gerade erst renoviert«.

Muss man aufpassen, bei Reisen nach Albanien. Obwohl die Szene mit den Forellen dann eine klare, eine ganz andere Sprache bemüht. Mir ging aber trotz aller Appetitlichkeit dabei die Story mit Enver Hoxha und dem Augenkorb nicht aus dem Hinterkopf. Albanien also lieber noch nicht, aber diesen Sommer zumindest einmal in die herrliche Schwalm. Zum Hoffest kommen angeblich mehr als zweitausend Menschen pro Tag, um vom selbstgebackenen Brot zu kosten, Keramiktiere zu bemalen (Yes!!!), auch Hasen darunter, sowie Ausritte zu unternehmen – Landschaft wirklich sagenhaft geil, soweit ich es erkennen konnte am Bildschirm, vermutlich also noch besser live, denn es war ja auf Arte. Ach ja, und der Kniff bei der Salatsauce ging so, dass in einer separaten Pfanne (beschichtet) sogenanntes Duckefett hergestellt wurde aus einem Pfund fetten Speck in Würfeln, einem Pfund Zwiebeln dito, Kümmel, Pfeffer, etwas Butter, sowie reichlich Schmand. Darin würden Pellkartoffeln einge»duckt«, also gedippt, von daher der Name der Tunke, die noch warm serviert werden sollte. Dies aber nicht, ohne zuvor einige Kellen voll auf den zubereiteten Kopfsalat verteilt zu haben, »das verleiht dieser Beilage erst ihre typische Würze«.

Jan war neulich völlig genervt vom Überhandnehmen des Hassbegriffs herzhaft. Überall gibt’s Herzhaftes. Mich stört das zwar jetzt nicht so extrem, aber klar. Das dahinter sichtbar werdende Denken, also wenn man das kreidegeschriebene Wort so ein wenig zur Seite zupft: Was dort dann herumliegt ist schon Punktpunktpunkt

Ich nehme halt gern rezent, aber das kann sich nicht jeder erlauben, weil das dann aufgesetzt und gaumig wirkt, wenn alle anderen sich auf herzhaft eingeschwenkt haben. Die jungen Blätter jedenfalls gut waschen (und auch immer erst ab Hüfthöhe gewachsene sammeln, wegen Fuchsbandwurm, da bringt nämlich auch waschen nichts!), dann in der Salatschleuder schleudern, in feine Streifen schneiden. Währenddessen ein dicke Scheibe Brot* von beiden Seiten buttern, in einer Pfanne knusprig braten, währenddessen eine Knoblauchzehen fein hacken, unter die Laubstreifen mischen, kräftig mit Flakes salzen, dann aufs heiße Brot legen. Dazu passt alles. Zum Beispiel kalte Milch.

* Muss kein selbstgebackenes, kann ruhig Supermarkt sein.