19.9.

Gestern Nachmittag, ich war gerade eingeschlafen, da klingelte überraschenderweise mein Telefon. Joachim Lottmann war am Apparat, anscheinend befand er sich bereits ganz in der Nähe. Ob ich ihn einlassen würde? Na, was für eine Frage!

Er war in seinem cremefarbenen Wartburg gekommen, ich wies ihm einen Parkplatz an. Wie immer war er von Kopf bis Fuß in Normcore gekleidet. Ich servierte einen Tee und ließ mir so ziemlich alles über den Wartburg erklären, ein nicht nur formschönes Auto, sondern eines mit interessanter Geschichte. Gar nicht so teuer, wenn man bedenkt, dass es als erhaltenswert historisches Fahrzeug angemeldet werden kann. Steuern und Versicherung fallen dann wohl jährlich lediglich nur noch mit einem zweistelligen Betrag zu Buche. Und betankt wird der Oldtimer mit Rapsöl (was die pyrotechnischen Nebel in meinen Hortensien erklärte). Na gut, aber ich brauche ja nun wirklich kein Auto.

Da ich keinen Fernseher besitze, ließ ich mir von meinem Besucher zeigen, wie wir die Wahlberichterstattung auf meinem Computer verfolgen konnten. Die ersten Hochrechnungen sahen bereits exakt so aus, wie ich gewettet hatte. Auf RBB lief eine rasant geschnittene Vorberichterstattung, für die mehrere Reporter an verschiedenen Stellen der Stadt abgefragt wurden. Vor dem Abgeordnetenhaus, die Kamera fuhr wie eine Zunge daran empor, war ein 30 Meter hoher, provisorischer Sendeturm errichtet worden.

Beim Umschalten lief im Stream der ARD noch eine Tierdokumentation. »Der Narkosepfeil sitzt, aber der Löwe will noch nicht einschlafen«.

Sehr viel später an diesem Abend, da war Lottmann längst abgedampft, unter anderem auch deshalb, weil die Wahlergebnisberichterstattung noch langweiliger sich gestaltet hatte, als der sogenannte Wahlkampf, geisterte eben dieser schlaflose Löwe noch einmal durch das erste Programm. Das war während dieser Gesprächsrunde mit Jakob Augstein, der eine gute Figur abgab und in angenehmster Kaviar-Gauche-Manier den Sachsen erklärte, wo der Bartel den Most holt. Das war auch nötig, denn besonders der Generalsekretär der CDU Sachsen gab dort eine traurige Figur ab. Geradezu schauderhaft und nicht nur verlogen, wahrscheinlich ist Michael Kretschmer schlicht und einfach dumm. Jedenfalls zeigte man einen Einspieler von den »Geschehnissen« in Bautzen, auf dem Platz, den der Oberbürgermeister »die Platte« nannte, und dort sah man ihn, also den Oberbürgermeister von Bautzen, im Dialog mit seinen Bürgern. Der Bürger, um den es ging, war allerdings bloß von hinten zu sehen. Nach allem, was ich erkennen konnte, hatte er eine schwarze Brille auf und blondes, kurz geschnittenes Haar. Er machte sich sozusagen Luft und zwar in der Form, dass er dem Oberbürgermeister eintrichterte, dass es, das Volk von Bautzen, sich damit abgefunden habe, dass in Bautzen Döner verkauft würde, und dass es eine Croisssanterie gibt. Aber dass er, der Oberbürgermeister, nun die Wilden aus den fernen Ländern bei ihnen wohnen ließe, das seien doch alles Kindersoldaten, die mit dem Speer auf Löwen loszugehen trainiert worden seien, das ginge einfach zu weit!!!!!!!!!!!!!!!!!

Vieles von diesem Unsinn wurde dem OB im gilfzenden Kreischton entgegengeschleudert. Doch der Oberbürgermeister blieb löwenhaft. In die Kameralichter blinzelnd, suchte er zu beschwichtigen: »Aber das war doch nicht ich, der die hierher geholt hat.«

Der Bürger: »Dann war’s deine Frau Merkel!«

Daraufhin schwieg der parteilose Oberbürgermeister. Wohl, weil ihm nichts einfiel. Die umstehenden Bürger von Bautzen reckten ihre Telefone, um zu filmen. Allseits Applaus.