20.11.

Den gesamten Tag drinnen verbracht. Es fängt jetzt diese Zeit des eiskalten Regnens an. Das Aufklaren ging immer so schnell vorüber wie in einer dieser Zeitrafferaufnahmen vom Alexanderplatz, wo die Sonne nicht untergeht, sondern am Schnürchen hinter den Horizont gezogen wird und der Nachthimmel gleich hinterher wie ein Rollo. Vor dem Fernsehturm flitzen die Scheinwerferstriche der Autos um die Kurve, während es hinten schon wieder Morgen wird. So schnell also, dass ich mir jeweils noch nicht einmal die Schuhe gebunden hatte, da fing es schon wieder zu regnen an. Und auf dem Grau des Sees leuchteten die Rümpfe der Stockenten silbern.

Nach dem Sonnenuntergang, so gegen 15 Uhr 30, hatte sich über dem Waldsaum ein dunkelrotes Leuchten ausgebreitet, dramatisch, darüber wölbte sich die Nacht. Nachdem ich mir das, was ich für ein Naturwunder, für ein außergewöhnliches Abendrot hielt, eine ganze Weile lang bewundernd angeschaut hatte, musste ich leider feststellen, dass ich mich hatte täuschen lassen. Es war ein künstliches Abendrot. Hervorgerufen von einem Dunstschleier, der über dem Waldsaum festhing, so als ob es ein nicht nur in der Sprache als Schleier bezeichnetes, sondern wie ein ganz wirklich zusammenhängendes Gewebe aus Dunsttropfen war, das sich dort in den Wipfeln verfangen hatte, und durch das hindurch, sozusagen abgemildert oder verschleiert, die roten Warnlichter des Potsdamer Fernsehturms leuchteten. Sie waren – durch den Schleier – in ihrer Leuchtkraft zugleich gemindert und verbreitert worden. Diese Warnlichter erscheinen in jeder anderen Nacht als scharf gezeichnete rote Punkte. Es sind vier oder fünf. Ich nehme sie längst nicht mehr war, sie gehören wie ein fixes Sternbild zur Nacht. Jetzt erkannte ich keines von ihnen mehr als Einzelnes; es brummte, wie bei Rothko, der gesamte Horizont in ihrem Ton.

Seltsam, ich werde das nie verstehen: Warum sich etwas, das ich klar vor mir sehe, dann nicht auch genau so Fotografieren lässt. Auf die Platte brennen. Oder bannen. Ich habe gestern zwei Aufnahmen gemacht. Sie sind beide nicht schlecht. An und für sich. Zeigen aber etwas ganz anderes. Es brummt nicht. Das Rot ist ganz anders. Der Wald plötzlich gar nicht mehr derart vom See verschluckt, wie ich es doch zeitgleich, während ich die eben gemachte Aufnahme auf dem Display mir anschaue, es mit den selben Augen vor mir sehe.