20.2.

Während alle die Fischsuppe löffelten, ging es an unserem Ende der Tafel um ein Chamäleon, das eine Bekannte von Daphne sich seit kurzem hält. Leider wohnte sie nicht in der Kommune und so konnten wir das Tier nicht besichtigen, sondern waren ganz auf ihre Beschreibungen angewiesen. Die waren auch sehr gut, also präzise, kamen aber jeweils nur auf unsere Nachfragen hin. Von dem, was sie von ihrem Chamäleon erzählte, ergab sich bei mir bald der Eindruck, dass sie mit diesem auf Anhieb etwas gesucht und dabei bemüht ausgesucht wirkenden Haustier eine gute Wahl getroffen hatte. Es kommt da, wie bei Beziehungen, auf beide an. Insofern ist es ja schade, dass Katze und Hund für Erwachsene wie voreingestellt als Haustiere vermarktet werden. Ich nehme zwar an, dass es eine gewisse Anzahl sogenannter Halter gibt, die noch lieber als einen Hund ein Chamäleon ausprobiert hätten, oder einen Tukan, aber die werden dann ihren zu Recht weitreichenden Überlegungen zum Opfer gefallen sein. Beispielsweise, was ein potentieller Liebespartner dazu sagen würde, wenn er das Terrarium, wenn sie die Voliere entdeckt. Schon eine Katze kann den bis dato allein lebenden Mann aus dem Paarungskreisel ausscheiden lassen. Er wird quasi stigmatisiert als ein männlicher Blaustrumpf (man munkelt, er telefoniert noch beinahe täglich mit seiner Mutter). Die Chamäleonhalterin hingegen wirkte auf mich völlig normal – was möglicherweise schließen lässt auf mein Frauenbild.

Man füttert es einmal am Tag mit einer Grille, die man ihm irgendwo in die Nähe seines Treibholzes hinlegt, damit das Reptil das Gefühl bekommt, die Grille sei von sich aus da hingekommen, und es, das Chamäleon, würde sie nun auf freier Wildbahn erjagen mit seiner grotesk langen Fliegenpapierzunge. Denn das Chamäleon ist sensibel, es empfindet sehr viel. Das tun viele Haustiere, alleinstehende Katzenhalterinnen sind vor allem auch deshalb alleinstehend, weil es kein potentieller Liebespartner lange erträgt, dass in seiner Gegenwart, die allein seligmachend wirken soll, andauernd von den unerfüllten Bedürfnissen der Katze gesprochen wird (oder dass die so schwer zu erfüllen sind, woraufhin beim potentiellen Liebespartner zwangläufig die Vorstellung erzeugt wird, ob er wohl die Katze?), aber das Chamäleon besitzt als einziges der nicht unter Wasser lebenden Haustiere eine Haut, die wie ein Display seines Wohlbefindens funktioniert. Wenn es blaue Punkte anzeigt, erklärte uns seine Halterin, stimmt etwas nicht.

Schön eigentlich. Gibt es freilich auch in menschlichen Beziehungen, also falls man jemanden trifft, der noch keine Katze unter seinem Bett versteckt, keinen Hund dabei hat, nicht von einem Chamäleon erzählt (es geht ihm gut, wenn es fahlgrün anzeigt; mit diesem ganz leichten Stich ins Orangefarbene – »wie dieses Eis, das am Stiel.«)

Drüben in der Kommunenküche, deren Raum mir so lang erschien wie ein gelb gestrichener Tunnel (an dessen Ende war ein Badezimmer, das hatte ich gesehen und mir gemerkt), stand Kerstin mit Andreas unter der monströsen Dunstabzugshaube, aus deren Kuppel ein Halogenstrahl auf die beiden herunterzeigte. Vor zwölf Jahren war er auf der Straße in seinem Mercedes 190 an dem Haus vorbeigefahren, von dem er wusste, dass sich darin die Kommune befand (die in diesem Sommer ihr 25-jähriges Bestehen feiern wird. Der Bürgermeister hat sich angesagt. Andreas soll eine Buchpublikation vorbereiten, aber er weigert sich innerlich, vergisst es absichtlich), und bewarb sich wenige Stunden später dort vor dem wöchentlich einberufenen Plenum als Wohnpraktikant. Das war ein Novum. Das jemand dort erst einmal ein Praktikum machen wollte, um für sich herauszufinden, ob das Wohnen in einer Kommune etwas für ihn sein könnte. Und lernte dann dort während seines Praktikums die bereits dort auf Lebenszeit wohnende Kommunardin Kerstin kennen.

Und they took it from there.