20.4.2019

Der Nachmittag des Karfreitags war mir zur freien Verfügung gestellt. Und nachdem ich mich zunächst unverhofft eingesperrt fand im verlassenen Studio, weil man mich offenbar übersehen hatte in meiner Versunkenheit, befreite mich ein Kurier mit dem Schlüssel und ich konnte mich aufmachen, die durch den Feiertag noch einmal ganz anders belebte Innenstadt zu durchstreifen. Das ist ja der Vorteil, wenn man hier niemanden kennt und keinerlei private Verpflichtungen hat: Man kann Detektiv spielen. Das verbindet mich mit Sophie Calle. An den Fassaden blühten Glycenien, die man bei uns ja so gut wie gar nicht mehr sieht. Gleichwie all die seltsam flachen Automodelle, die hier durch die Straßen gurgeln.

Am Bleicherweg, nahe der Gerechtigkeitsgasse entdeckte ich die Auslagen des Einrichtungshauses Exceptis am Wasser, Firma Real Stein (»More than Stone«), dessen Schaukästen von hinterleuchteten Wänden aus gefügten Achatscheiben eingefasst oder gehalten wurden — gut möglich, dass Sigmar Polke diese Auslagen auch schon kannte und sie mit den blauen Vogelformen von Giacometti vereint hatte. Eine mit ihm Vertraute hatte mir neulich erst erzählt, dass er, Polke, in den achtziger Jahren oft und gerne nach Zürich gekommen war, um sich hier von den Zumutungen Kölns zu erholen. Möglicherweise hatte er damit auch einen Wissensvorsprung gegenüber Grosse und Eliasson eingeheimst für den grossen Fensterwettbewerb. Das mag magisches Denken sein; vielleicht ist es bloß Zufälligkeit—jedenfalls erscheint mir das Bezugssystem als fein. Und durch zartfingriges Ahornlaub leuchtete die Sonne.

Abends dann vor dem Volkshaus am Helvetiaplatz, meinem liebsten Platz in der Stadt. Am Blickrand hatten sich gewaltig aufquellende Wolken formiert. Unbeweglich, und bei sinkender Sonne schienen sie mir bald wie die Berge selbst, die man von dem Platz aus doch gar nicht zu sehen bekam. Als Abbilder eben dieser unverrückbaren Giganten mit einem goldenen Rand verziert: der war erschienen an ihrem Saum, wie sonst an verschneiten Flächen. Im verblauenden Dunkel zwischen den Gipfeln kreuzten drei Kondensstreifchen auf ein imaginäres Zentrum zu—sternförmig wie in dem Logo der Star Alliance. Davor sammelten sich die Stare, jagten die Schwalben. Nach Sonnenuntergang hatte es noch gut 20 Grad.

Wenn ich meine Forschungsergebnisse in den Sitzungen vortrage, wird gelauscht. Dann sagt Markus, dann sagt immer auch Yves »Du bringst uns die Schweiz näher.« Gerade so wirkt das auf mich, als ob ich etwas aussprechen dürfte in meiner Naivität, was ihnen selbst versagt ward. Also gibt es hier ein Geheimnis.

Mir kommt die nördliche Hälfte von Deutschland so furchtbar misslungen vor.

Heute ist Vollmond.