20.5.

Im heftigen Wellengang der vergangenen Tage ist das Nest der Blässhühner zerstoben. Gestern waren beide Tiere bereits mit dem Wiederaufbau beschäftigt. Das Fundament bildet diesmal eine transparente rote Plastiktüte, die eine Luftblase eingeschlossen hält. Um die herum wurden bereits einige Zweige und abgezwickte Stengel von Seerosen angeschoben. Zur Materialbeschaffung müssen die Blässhühner auch den geschütztem Bereich unter dem Steg verlassen, umherschweifen, um an weiter entfernt gelegenen Abschnitten des Ufers nach Zweigen und ähnlichem zu suchen. Von daher kommt es nun mehrmals täglich zu heftigen Streitereien mit einem anderen Paar, das ein paar Meter weiter vor einem dort vertäuten Motorboot sein Revier begründet hat. Die Blässhühner sind ja an sich zierlich, allerdings haben sie diese grotesk riesigen Füße. Die Füße der Blässhühner sind etwa doppelt so groß wie deren Kopf und Hals zusammengenommen. Diese Proportion sähe, auf Menschen übertragen, ziemlich schlimm aus. Bei den Blässhühnern geht es aber noch. Ihrer großen Füße wegen kommen die Blässhühner bei Bedarf verblüffend schnell vorwärts, sie legen sich dann tief ins Wasser, weshalb sie auch Duckenten genannt werden, und hinten arbeiten die Riesenfüße mit enormer Antriebskraft. Auch während der Kampfhandlungen zwischen rivalisierenden Duckenten leisten die Riesenfüße, die überdies weiß sind, der Rest des Vogels ist ja bis auf seinen Tipp-Ex-Strich über Schabel und Stirn schwarz, gute Dienste: Während die Tiere einander bedrohlich hupend umkreisen, packen sie sich unter dem Wasserspiegel an den Füßen und versuchen sich, dabei auch noch aufeinander einpickend, gegenseitig unter Wasser zu ziehen. Diese Kämpfe dauern aber immer nur wenige Sekunden, fast wirkt es so, als befolgten sie dabei ein Regelwerk wie beim Ringen oder Boxen, wo sich die Kontrahenten zu einem Schlagabtausch verbinden, um dann in ihren Ecken Kräfte zu sammeln, bis erneut ein Gong ertönt.

Beim Nestbau hingegen wird allein mithilfe des Schnabels gearbeitet. Das ist eine erstaunliche Leistung, wie allein durch schieben, ziehen und drücken und dagegenpicken ein Flechtwerk entsteht, das bald auch mittlerem Seegang standhalten kann. Nur einem mehrtägigen Unwetter eben leider nicht. Noch meisterlicher geht ja angeblich der vor zwei Jahren entdeckte, weiß gefleckte Kugelfisch Torquigener albomaculosus vor. Ich habe es selbst noch nicht gesehen, aber es gibt einen Film im Internet. Der Fisch ist in unaufgeblasenem Zustand gerade so groß wie meine Hand und das Männchen baut zum Zwecke der Paarung einen Sandtempel von drei Metern Durchmesser. Und zwar in makelloser Kreisform mit konzentrischer Ornamentik. Das ganze reliefartig, es sieht aus wie ein Mandala aus dem Erwachsenenmalbuch – wenn man es sich von weit oben her anschaut; was das Kugelfischmännchen freilich nicht kann, denn es baut dieses Sandrelief bevorzugt im Strömungsbereich einer Insel vor der Küste Japans, das bedeutet, es baut sieben Tage lang Tag und Nacht durch, damit die von der Strömung verursachten Schäden sozusagen rollierend ausgebessert werden können. So als ob das noch nicht beeindruckend genug wäre, betört das Kugelfischmännchen sein Weibchen auch noch damit, dass es diese Riesenunterwasserskulptur einzig mithilfe seiner Schwanzflosse errichtet hat. Wedelnderweise. Da das Männchen an sich wie gesagt nicht eben groß ist, kann die Schwanzflosse nicht viel größer sein als mein Daumennagel – und damit 22 Quadratmeter Sand unter Wasser zu einem Mandala formen? Ein Unterwasserlaubenvogel. Wer hätte das gedacht.

In Cusco, auf halbem Weg in die Anden von Peru, gibt es eine Kieselsteinwüste, in deren Mitte steht ein Turm. Wer da hinaufsteigt, kann aus vier, fünf Meter Höhe ein seltsames Muster erkennen, das dann aus den verschiedenfarbenen Kieselsteinen dieser Wüste entsteht. Man erkennt langestreckte Figuren, Tiere mit Masken, aber auch so etwas wie Richtungspfeile und Verkehrsschilder entlang zweier Linien, die kilometerlang durch diese Steinwüste führen wie die Randstreifen einer Autobahn. Angeblich ist dieses aus Steinen gelegte Bild ja bereits mehrere tausend Jahre alt. Sie nennen es »Runway of the Gods«.

Für Friederike