20.8.2019

Komisch eigentlich: plötzlich sitzt so eine dieser Wanzen bei mir auf dem Fussboden—die waren doch im letzten Sommer die Plage in Frankfurt. Und ich, ich konnte immer behaupten: Bei uns in Berlin gibt es die aber nicht. Als ich die jetzt heute furchtlos anpackte, um sie aus dem dritten Stock auf die Terrasse des Kette-Rauchenden-Kehlkopfmikrofon-Lord-Vaders herunter-zu-schmeissen, hinterliess dieses Insekt an meinen Fingerspitzen doch seinen eigenen Geruch—um es mit Mark Murphy zu sagen: Out of this World.

Dämlich auch: dieses Buch von Evelyn Waugh «Scoop»: also wenn das einer der bedeutendsten Romane der britischen et cetera, et cetera, sein soll—dann gut nacht um sechse, wie es in meiner Provinz so schön heisst. Als ich in Addis Abeba einst in das älteste Hotel des Landes eincheckte für ein Jahr, konnte man sich dort kaum zurückhalten, mir an jedem neuen Morgen zu erklären, dass nun in genau diesem Zimmer (Zimmer Nummer 102, für Amharic-Freaks: Meto Hulet),  in dem ich nun wohnte, vor ein paar Jahren erst (es waren deren 80) «dieser andere Schriftsteller» (Waugh) gewohnt habe. Seinen Namen hatten sie freilich vergessen. Es gab ja auch keine Buchläden in Addis, der Hauptstadt Äthiopiens. Die Strassenhändler verkauften «Atlas Shrugged», und die Lebenserinnerungen von Barack Obama.

Wobei es dann am Ende doch eine gute Szene gibt in Scoop, da ist der Held heimgekehrt aus dem fiktiven Land und isst erstmals wieder unter Engländern: «Das Abendessen zog sich fast eine Stunde hin, doch nicht etwa wegen einer Überfülle oder gar Abwechslung an Gerichten. Es war ein ziemlich schlechtes Essen…» Und das aus dem Munde eines Briten. Er fährt weiter unten fort, mit «Im Laufe der Zeit hatte sich bei jedem Mitglied der Familie Botte ein persönlicher Essstil entwickelt; vor jedem Gedeck war ein kleiner Vorrat an Zutaten und Gewürzen aufgebaut, alle mit dem Namenszug ihres Besitzers versehen: Zwiebelsalz, Bombay-Fischpulver, Gürkchen, Knoblauch-Essig, Dijon-Senf, Erdnussbutter, Puderzucker, verschiedene Sorten von Keks (*die Übersetzung ist durchgängig nicht gut) von Bach und Turnbridge Wells, Parmesankäse und noch ein Dutzend anderer Töpfe und Flaschen und Blechdosen, die sich zwischen dem schweren Georgischen Silber lächerlich ausnahmen. Onkel Theodorhatte eine kleine Spiritusflamme und ein Rechaud, auf dem er sich eine Sauce zusammenbraute. Die Gerichte, wie sie von der Küche hereingeschickt wurden, waren eher Grundbestandteile, als die Küche selbst.»

Quirky, isn’t it. Da muss man doch gar nicht mal gross England-feindlich gesinnt sein, um das provinziell zu finden. Aber manchmal, im Grunde ziemlich oft, ist es ein Textfeld wie dieses hier, von der Grösse einer Visitenkarte, das ein wenig besuchter Autor bei mir hinterlässt.

Armutsessen gab‘s übrigens auch so ähnlich bei uns hier, in der BRD: Ich war mit meinen Grosseltern manchmal Zelten in Jesolo (Italien), da hat die Grossmutter eine von ihr sogenannte Pasta Asciutta angerührt, die bestand, aus heutiger Sicht erinnert, aus: Corned Beef, Tomatenmark, Zwiebeln, Salz und Pfeffer, wahrscheinlich Maggi und, freilich, Spaghetti. Schmeckte uns, Jahr für Jahr: hervorragend. Und ob jetzt Italienisch (in Italien), oder nicht original, das interessierte uns damals nicht.