20.9.

Seit gestern ist auf mcsweeneys.net die Reviews of New Food online. Schon wieder ist ein Jahr vorüber. Die letzte Ausgabe war leider etwas schwach ausgefallen, ich hatte mir schon Sorgen gemacht, ob die Innovationskraft der amerikanischen Lebensmittelindustrie sich etwa erschöpft haben könnte, aber seit gestern ist alles wieder gut gemacht. Das Konzept läßt sich leider nicht auf den deutschsprachigen Raum übertragen, weil es hier viel zu wenige erfundene Nahrungsmittel gibt. Im ganzen letzten Jahr bin ich beim Einkaufen auf gerade mal zwei gestoßen: die Bärchenpärchen von Haribo und den isländischen Parajoghurt Skry, den es neu bei Aldi gibt, der aber genauso schmeckt wie extrem guter Joghurt, obwohl er wenig Fett und zigmal mehr Protein enthält als Joghurt. Die Bärchenpärchen wiederum sind halt umgepresste Gummibärchen, die in einer Hand in Hand einherschreitenden Pose aus der Tüte purzeln. Und wie schon bei den Gummibärchen selbst schmeckt mir ein Pärchen aus orangefarbenem und grünem Bärchen am Besten. Man kann sie auch an den einander umfasst haltenden Pfoten durchbeißen, dann hat man wieder zwei Einzelbären — also: Was soll’s? Marcel Makrele setzte gestern Nacht noch einen kritischen Tweet ab, demnach gibt es nun wohl Knoppers mit Erdbeergeschmack. Allerdings schmeckt das wohl übel bis überhaupt nicht.

Amerika hingegen: ein bodenloses Füllhorn, aus dem sich ein monsunhafter Segen erfundener Nahrungsmittel in die Regale ergießt. Schon in Italien macht das Einkaufen im Supermarkt ja viel mehr Spaß und selbst in Frankreich gibt es deutlich mehr Erfindungen als hier. Nicht allein, was die Produkte betrifft. In Cagnes-sur-Mer beispielsweise, nun wirklich ein Nest, gibt es einen dieser Supermärkte, in denen ausschließlich Tiefkühltruhen und -schränke aufgestellt sind. Alles tiefgefroren. Von diversen Zutaten, Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten bis zu TV-Menüs mit drei Gängen. In diesen Frigos ist es gar nicht so kalt, wie man von außen durch die Scheibe betrachtet vermutet. Vor allem ist es da drinnen immer herrlich still. Geradezu weihevoll ist die Atmosphäre, in der die stets wenigen Kunden durch die Gänge an den Glastüren der Gefrierschränke entlang sich bewegen, um eine Auswahl zu treffen. Das hat vermutlich mit einer, vielleicht auch nur durch Fernsehkrimiszenen induzierten Erinnerung an Leichenschauhäuser zu tun. Möglicherweise drückt sich darin auch eine Respektsbezeugung aus, eine Form der Andacht im Angesicht des Gefrorenen. Ich kann mich jedenfalls an keine einzige unwürdige Begebenheit in einem Frigo erinnern. In Supermärkten hingegen sehr wohl. Teilweise ging es dort schlimm zu. Und es hatte nicht immer, aber sehr oft halt mit dem Verkauf von Alkoholika zu tun. Die gibt es im Frigo sozusagen naturgemäß nicht. In Cagnes-s/M findet sich vermutlich auch deswegen gleich nebenan eine Filiale des Weindiscounters.

In den Reviews of New Food 2016 wird ein neues Getränk von Starbucks besprochen, der sogenannte Pink Drink, den ich echt gerne probieren würde. Die Rezensentin findet ihn geschmacklich, vor allem auch angesichts seines hohen Verkaufspreises von vier Dollar, total enttäuschend, lobt ihn aber dennoch, weil er sich gut auf Fotos macht und von daher als something new to add to your narrative passabel wird. Der Rezension entnehme ich weiterhin, dass der Pink Drink eine Art Ergänzungsprodukt zu einem Snack bedeutet, den es bei Starbucks dort wohl schon seit Monaten gibt, nämlich dem Pink Starburst, von dem ich ebenfalls noch nie gehört hatte. Geschweige denn gekostet. Angesichts solcher fundierten Besprechungen erfundener Lebensmittel und insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass es in Deutschland nicht wenige Filialen von Starbucks gibt, in denen mir aber die wahren Köstlichkeiten vorenthalten werden, fühle ich mich mal wieder wie in einem Entwicklungsland festgehalten.

Die schönste Rezension könnte man allerdings auch hierzulande veröffentlichen: Kevin Daley testet den Yogi Woman’s Moon Cycle®Tea. Es gibt ja immer noch Männer, die vor dem Einsatz eines solchermaßen beschrifteten Teebeutels zurückschrecken würden. Nicht so Mister Daley! Und seine ersten Sätze leiten zumindest in meiner Phantasie hinüber zu einem Roman: »I remember the first time this forbidden potion touched my lips. My boss, Paula, was an older woman experiencing menstrual cramps and asked me to run an errand for her. She gave me a $20 bill and told me to go to Whole Foods, where I would find a box oftea for women. At first, I could not believe that gender binaries had seeped into tea production, but I kept my mouth shut«.