20.9.2019

«Auf jeden Mai folgt auch ein November» (Handke): Die Nacht war dementsprechend fürchterlich. Kaum in Berlin angekommen, spürte ich, wie diese Stadt mich durch die Fensterscheiben im Abteil hindurch infizieren wollte mit ihrem Keim. Hier ist es kalt, an der Spree haben die Bäume teils rote Blätter. Dass mein Haus eingerüstet sein würde bei meiner Heimkehr, hatte ich nicht vergessen, aber verdrängt. Doch war es genau so gekommen. Im Vorgarten steht eine Toilettenzelle aus Kunststoff. Der Hersteller aber nicht Dixie, sondern: Olymp. Ich finde das zynisch. Im Baum vor meinem Fenster, meinem Fixstern hängt fetzenweise Rockwool, schaut aus, wie aus Windeln herausgerissen. Nein, mir ist jetzt alles vergällt. Ich lebe bei vorgezogenen Gardinen, das Licht wie in einem Lazarett, oder als ob draussen Schnee liegt. Nicht einmal Schlafen kann ich (aufgrund des Schnupfens). Aber die Horrorpanik der Nacht, dass nämlich der Mann mit der Atemmaske mich auf der Lesung angesteckt haben wird mit einem Krankenhauskeim, die liegt ad astra.

Traf mich trotzdem heute um neun Uhr mit Mirko Zander in der Stadt, um die letzten Arbeitsschritte besprechen zu können. Grossmütiger, langmütiger auch: Mirko. Machte mir bessere Laune (von der tatsächlich noch ein bisschen vorrätig war). Andauernd kamen unterdes vor allem Väter mit ihren Kleinkindern in die sogenannte Meierei, wo wir planend sassen, die Kinder dabei stolz, mit selbstgemalten Klimaschildern. Die Väter, und wenigen Mütter: mit Teilscham ob dieser Schilder, des wie verordneten Mitmachens wegen im Gesicht. Was will man da machen? Wenn man das verbietet, werden die Kinder cyber-gemobbt.

«Warum wird nicht einmal ein Idiot Präsident», schreibt Handke im Gewicht der Welt «ein Mongoloider?»

Ich finde es interessant, wie vielfältig die Slogans und Sprüche sind. Versuche, jedes der Schilder zu entziffern, das mir entgegengetragen wird—keines kommt zweimal. Das scheint mir neu, dass diese Jungen sich wie beim Sneakerkauf um Individualität bemühen. Als ich aufbrach, wurde schon vielmündig skandiert. Von der S-Bahn aus schaute ich links und rechts auf gerinnende Gruppen. Was würde man eigentlich machen, wenn sich die Kinder und Jugendliche für eine ganz andere Sache auf die Strasse begeben würden; sagen wir: Gegen Einwanderer und Überfremdung, gegen Alte, US-Amerikaner, soetwas?

Schon wieder bettreif, dabei war es noch nicht einmal zwölf Uhr, war ich gerade noch rechtzeitig, bevor der Klimastreik losging, wieder daheim. Spürte eine Vorfreude, weil ich morgen wieder gesund sein würde.