21.1.2020

Nach langer Fahrt quer über die Insel wurden wir, es war inzwischen Nacht geworden, im nordöstlichen Portland vor unserem Baumhaus abgesetzt. Die Weite des uns umgebenden Wald konnten wir trotzdem es stockdunkel war ermessen mit dem Ohr, denn ein unfasslicher Lärm aus zirpenden und schabenden Geräuschen, aus den Gesängen und Leiern der Schaben und Grillen schoss aus sämtlichen Richtungen der Nachtkrabbenschwärze von nah und weniger nah und, wie anscheinend oder tatsächlich mit einem Echo versehen, aus dem ebenfalls von Schall erfüllten Dahinter ringsum. Mishima berichtet in einer seiner ländlichen Erzählungen von der japanischen Vorstellung vom Jenseits als «reiner Welt», rein hier im Sinne von gereinigt, in der sämtliche Vogelstimmen allzeit dem Buddha ein Loblied darbringen und er merkt an, dass er sich den dabei entstehenden Lärm mit Verlaub als unerträglich vorstellen muss.  

Dann fing es zu regnen an. Und es regnete die Nacht hindurch. Nur phasenweise wurde das scharfe Zirpen von draussen durch ein Crescendo der Regentropfen auf dem Blechdach unserer Behausung überdröhnt, sodass ich befürchten musste, es könnte sich um einen selbst für hiesige Verhältnisse ausserordentlichen Regen handeln, der dort auf dem Dach über uns trommelte, um unser Häusle aus seiner Verankerung an dem Baum, den ich noch nicht einmal gesehen hatte, zu reissen. Daraufhin schwoll das Regnen wieder ab, liess nach und wurde Rauschen; um sich zu sammeln, wie es schien. Und so vergingen die Nachtstunden.

Nach Sonnenaufgang erkundeten wir den Wald, der natürlich noch sehr viel weiter war, bei Tageslicht besehen, als wir ihn uns von der Geräuschentwicklung seiner nächtlichen Belegschaft her hatten vorstellen können. Hohe Bäume, vielleicht zwölf Meter hoch, mit sehr dicken, rissigen und krumm gewachsenen Stämmen und sehr dünne, stangenhafte Palmen und Bambusgräser bilden einen vertikalen Fries. Bis auf Augenhöhe wachsen grüne Blattpflanzen dicht an dicht. Auf den vom Regen glänzend abgewaschenen Blättern spiegelt sich das Licht, indes der Himmel von den ineinander gewucherten Baumkronen grösstenteils ausgeblendet bleibt. Einige der Pflanzen sind mir aus dem Alltag als Topfpflanzen vertraut: Monstera, Gummibaum und Ikeapalme, aber auch Hirschzungenfarn, Strelizie und Ingwerblüte wirken auf mich deshalb wie plaziert, sind doch Wildwuchs. Die Schnecken in diesem gartenhaften Wald haben ein Haus, das rund ist wie gewohnt, aber schmal wie eine Baskenmütze. Sie tragen es keck, zu einer Seite hin aufragend. Gesprenkelt wie Achat. Den winzigen Doctor Bird, einen Kolibri mit gegabelten Schwanzfedern, habe ich bislang noch immer nicht zu Gesicht bekommen. Eine Begegnung mit dem kaum bienengrossen Vögelchen ist mir für den Donnerstag versprochen, wo uns ein Fahrer namens Omar in die Kaffeeplantagen an den Hängen des Blauen Berges fahren will. Während er das Steuer hält, trägt er seinen Vorrat an Scheinen nach Landessitte als Fingerring dergestalt, dass er die Dollarscheine längsseitig zu einem schmalen Fächer falzt, um seinen Ringfinger gebogen einklemmt zwischen Mittelfinger und dem kleinen, woraufhin sich die Scheinblüte zur Oberseite der Hand hin auffächert und die diversen Farbkombinationen des Jamaikanischen Geldes, das aufgrund der heftigen Inflation so gut wie nichts wert ist, zur Geltung bringt. Schmückenderweise.

Unser Frühstückskellner sieht genau aus wie Grace Jones.