21.2.

Heute früh war ich als erstes bei Mitte Meer und habe zwei Hummer gekauft. Wie die Portugiesen mir schriftlich versichern wollten, handelt es sich dabei um ein Ehepaar. Mal schauen.

Anne will, dass ich ihr Manuskript lese. Ich will das auch, weil ich denke, dass ein Buch über Suizid eine gute Sache ist. Was Anne nicht will, so gut kennen wir uns zumindest, ist, dass ich bei der Lektüre ihres Manuskriptes in Tränen ausbreche, wie es im Deutschen heißt. Tue ich aber leider. Da kann weder Anne noch ich etwas dafür.

Sich das Leben nehmen, das hat dein Freund Christian, von dem du nun auch schon wieder 20 Jahre bald nichts mehr gehört hast, damals als eine legitime Möglichkeit ins Spiel gebracht. Damals hattet ihr gerade eure Zwangsverpflichtung als Zivildienstleistende hinter euch - zwei Jahre. Die Frauen, die ihr danach getroffen habt, konnten sich das vermutlich ebenso wenig vorstellen, wie ihr euch selbst, was das bedeuten würde, dem Staat mal so eben zwei Jahre eures Lebens geschenkt zu haben; zwei Jahre: es würde deren zwanzig dauern, bis ihr eines Morgens aufwachen würdet, um überhaupt denken zu können »O Gott!«

Damals schien das normal. Es gab und es gibt Nationen wie Eritrea oder wie Israel, da gehen die Frauen für Jahre in den Staatsdienst und fragen sich niemals öffentlich, warum. Aber in Deutschland?

Damals noch BRD. Ich kann mich erinnern, da lag ich mit Senta auf dem Teppichboden in ihrem Kinderzimmer, wir hörten Blue Lines, und danach kam Dead Can Dance, und wir waren uns ganz sicher, dass morgen, spätestens aber übermorgen der Atomkrieg kommt, der unsere Leben auslöschen würde. Wahrscheinlich ist das mittlerweile in Vergessenheit geraten, und das ist auch gut so, aber Massive Attack hießen so, weil es damals den ersten Krieg gegen die Ölstaaten gab. Eigentlich wollten sie bloß Massive heißen, es gibt auch Pressungen von Unfinished Sympathy, die waren unter Massive erschienen. Dies nur all derer wegen, die noch immer behaupten, dass alles, was ich oder was wir machen, rein oberflächlich und ästhetisch begründet erscheint. Ist übrigens ein Zitat Adolf Hitlers, das sinngemäß lautet: »Sie machen einen Fehler, wenn sie das, was wir vorhaben, als rein politisches Vorhaben beurteilen wollen«. Bret Easton Ellis hat das zitiert.

Zitate von Zitaten, Tee vom Tee und Kekse aus Keksen: so sind wir aufgewachsen. Dazu chirurgische Schnitte, das hieß: Bomben auf Bagdad, Bomben auf Zagreb und auf die Falklandinseln, Bomben auf all diese Orte, an denen wir noch nicht gewesen waren und dann plötzlich stand Joschka Fischer im Anzug und ohne Sneaker neben Gerhard Schröder. Übrigens: Im Gegensatz zu den übrigen Forschern im Felde des sogenannten Lifestyles habe ich gründlich recherchiert und weiß von daher direkt, das heißt: von Nesrin zu Königsegg, dass der Anzug aus dem Hause Brioni, den Gerhard Schröder einst auf diesem Foto für die Gala trug, aus dem Schlussverkauf bei Sør zu Hannover stammte - unter Sozialdemokraten gesprochen also: halb so wild.

Die Muse gähnt so schön. Das Geräusch, das sie dabei produziert, bedeutet für mich die Verkörperung der Behaglichkeit und ich muss dann immer an Ernst Jünger denken und was er in den Stahlgewittern über den Bauchschuss geschrieben hat: wie er das beobachtet, wie sich dort einer ausstreckt und ihm fällt dazu eine Katze ein, die möglichst viel vom Sonnenschein an ihre Unterseite lassen will.

In dem wie immer vollkommen wahnwitzigen Interview, das Sven Michaelsen mit Raimund Fellinger für das SZ Magazin geführt hat, erzählt er (Fellinger) auch von der Nadel, die Jünger angeblich stets bei sich trug, um sich bei seelischen Schmerzen den Unterarm zerfleischen zu können. Das ist eine Methode, die tatsächlich funktioniert, ich habe davon allerdings zuerst bei Alfred E. Neumann gelesen, als Prä-Teen. Damals wurde mir von der Redaktion des Magazins MAD empfohlen, gleich auf den Linken zu hauen, falls man sich beim Nageln aus Versehen auf den rechten Daumen gehämmert haben sollte. Und wenn es dann noch immer weh tun sollte: in Brennnesseln einwickeln, am besten nackt, und ganz, ganz viel Gaffer Tape darum.

Wow, wie sehr ich dieses Wort des Entstrunkens liebe!!! So gelesen in der Wochenendausgabe der Süddeutschen, deren Stil-Teil ich lese wie andere ab und an ins Spiegelkabinett auf dem Rummelplatz gehen. Schau an: So dick könnte ich sein, so dünn oder so peinlich. Hinterher ist man froh, also ich, nach der sogenannten Lektüre, dass es so weit dann doch nicht gekommen ist mit einem, mit mir, mit der sogenannten Karriere. Glücklicherweise, wobei ich halt auf keine goldene Kugel setze, sondern als Ultrawertkonservativer den Würfel schon von seiner Gestalt her als verlässlich empfinde.

In besagtem Artikel ging es übrigens um die Avocado. Also nicht etwa abstrakt, sondern um die Avocado an sich. Jahrzehntelang hatte ich geglaubt, dass die - in Wahrheit hatte ich natürlich keinen einzigen Gedanken darauf verwendet, wie oder woran die entstehen, bis -, ich wusste auch bis vor kurzem noch nicht, dass Erdnüsse keine Nüsse sind, sondern Bohnen, aber dann lebte ich etwas über ein Jahr lang mit einem Balkon, der Aussicht gab auf einen Avocado-Baum und seitdem weiß ich es halt aus der eigenen Anschauung: sie wachsen an Bäumen, die Avocados. Sieht übrigens lustig aus!

Davon steht in dem Artikel freilich nichts. Ist ja auch egal, es steht auch nicht der Trick drin, der nämlich wirklich ein Hack ist, wie man den Kern aus einer halbierten Avocado herausbekommt auf elegante Weise. Die Süddeutsche Zeitung konzentriert sich halt auf Leser in München. Da weiß man so was und saugt die Avocado und all dies Wissen um die fettreiche Steinfrucht bereits mit der Muttermilch auf. Ja, das ist eine Vorstellung, die sich als grotesk nicht nur bezeichnen ließe, sondern die das geradezu herausfordert und will (wenn sie bloß könnte). Ich frage mich halt, wie es weniger schmerzhaft würde: Zipfel zuerst, oder stumpfes Ende voran durch den Milchkanal und die sogenannte Brustwarze?

Volkmar Sigusch hat in seinen »Sexualitäten« zu Recht angemerkt, dass es unter Deutschsprachigen ein Riesenproblem mit der Erotik gibt, weil Begriffe wie Brustwarze, Schmusen und Scheide einfach nur abturnen und sogar entwerten, wo doch das Gegenteil erwünscht würde. Schon bei der Unterscheidung von Vagina oder Vulva kommen recht viele ins Schleudern, Pussy hingegen hat eine Megakarriere gemacht. Beim Venushügel muss ich ans Bestatten denken. Kitzler klingt nach einer Flasche Pommes frites. Und um hier nicht ausdauernd und bloß das Feld der weiblichen Anatomie zu beackern: Pimmel - es gibt erwachsene Frauen, die sprechen das laut aus und wundern sich dann.

Die Hummer sitzen sich in der Wanne direkt gegenüber. Sie schauen sich an.