21.3.

Ariane, die im kleinen Café gegenüber an der Kaffeemaschine steht, wird morgen schon dort gestanden haben, heute ist ihr letzter Tag. Sie kam wenige Tage nachdem ich selbst hierher gezogen war, das Jahr ging alles andere als schnell vorüber, Ariane sagt, sie ziehe zurück nach Genf. An den anderen See, der größer sein muss als der hier, ich kann mich nicht mehr an ihn erinnern, aber sie will dort in ein Unternehmen einsteigen, das Fahrten mit einem Katamaran über den Genfer See vermittelt (wenn ein Katamaran auf dem Wannsee in Schwung käme, prallte er nach fünf Minuten gegen das Spandauer Bürgermeisteramt).

Arianes Vater ist Architekt, er konstruiert Labyrinthe. Für Freizeitparks und Privatparks und wo man halt sonst noch ein Labyrinth braucht. Dass sie Ariane heißt, ist als Beispiel für seinen speziellen Humor zu verstehen. Sagt sie. Außerdem ist sie ein Kind des europäischen Space Age (gibts ältere Russen, die Sputnik heißen, oder Amerikaner namens Apollo?)

Dass die Tochter dieses Mannes seit Jahren in der Gastronomie arbeitet und nun in ein Binnensee-Startup wechseln will: Heißt das was, dynastisch gesprochen, oder ist das egal? Müsste sie nicht eigentlich Künstlerin werden wollen oder schon eine sein? Bei mir blähten sich gleich wieder die Wunschsegel auf, kurz dachte ich: Ob man als Segelbootverleiher zum glücklichen Menschen werden könnte, weil man dann abends noch genug Zeit hätte und Kraft, um Literatur zu lesen und für eine niedrigschwellig angelegte literarische Produktion?

Hat man dann aber nicht. Eventuell ging das noch mit einer kleinen Professur, in deren Rahmen man so ein- bis dreimal die Woche eine minimale Vorlesung hält, dann noch ein Sprechstündchen, und ab und an mal einen dünnen Stapel Hausarbeiten korrigiert. Geht aber auch nicht mehr. Ist auch vorbei, die schöne Zeit. Und wo man noch genug an Zeit finden könnte, bekommt man einfach nicht mehr genug Geld. Seit auch in Bereichen, die dem Verdacht künstlerischer Tätigkeit bislang unverdächtig geblieben waren, Journalismus zum Beispiel, nur noch Honorare gezahlt werden, die allenfalls superspartanische Lebensführung ermöglichen, gibt es dort die Vorstellung, man mache eben etwas Künstlerisches, zumindestens Kreatives und in diesem Mischbereich von Kreativarbeit, Kunst und Bohème sei das halt so. Weil es ja schon immer so war. Früher mussten die Künstler noch ins Schwefelbergwerk, um das Geld für die Farben und Leinwände zu verdienen (oder für die Farbbänder ihrer Schreibmaschinen, Papier, Marmorblöcke et cetera), das immerhin muss nicht mehr sein. Also dass man die Waren einräumt im russischen Supermarkt, um sich die Arbeit als Schreiber für die Website einer Zeitung noch leisten zu können.

Am Freitag sprach ich in der Paris Bar mit zwei Schreiberinnen aus der Schweiz, die sich für ein Praktikum interessiert haben. Allerdings erzählten sie auch, dass ein Praktikum in der Schweiz mit 2000, auch 3000 Franken bezahlt würde. Dass dies hierzulande einer Forderung in Fantastilliarden entspräche, fanden sie erstaunlich. Einsehen wollten sie es nicht.