22.10.

Seinen Vortrag an der American Academy leitete Danny mit einem Standbild aus dem Internet ein: Gezeigt wurde die Nahaufnahme zweier Königspudel, deren üppiges Fell in grellen Farben getönt worden war. Der rechte gestreift wie das Kostüm Ronald McDonalds, der andere ganz in einem schönen Rot, wobei der Hundefriseur ihm das Fell am rechten Hinterbein lang stehen gelassen hatte, um daraus, mit appliziertem Wackelauge und detaillierter Airbrushtechnik, einen Elmo aus der Sesamstraße entstehen zu lassen. Beiden Hunden hängen die Zungen aus den Mäulern wie ein Lesezeichen. Sie schauen von Natur aus irritiert.

Es waren so viele Zuhörer gekommen, dass der Vortrag in den angrenzenden Nebenraum übertrugen wurde. Auch dort eine Videoleinwand, die das Geschehen aus dem ersten Saal mitsamt der Projektion dort projizierte. Dannys Vortrag wurde von unaufhörlich wechselnden Bildern begleitet. Als nächstes erschien eine Möbiusschleife, darunter stand »LOVE«. Er nahm das zum Anlass, seiner Frau und seiner Tochter zu danken, die eigens aus Paris angereist waren, um seinen Vortrag zu hören. Die Philosophie hinter der Kunst, die Poetologie, ist halt nichts, was man mal so morgens beim Kaffee bespricht.

Auf dem Heimweg sah ich einen bei laufendem Motor abgestellten Wagen, dessen Scheinwerferlicht sich vom dichten Nebel zu zwei voranragenden Säulen materialisiert hatte. Dabei bekam ich ein Erinnerungsgefühl an frühe Novemberabende; wenn man von irgendwoher abgeholt wurde. Sonore Radiostimmen aus dem Inneren des Fahrzeuges, Heizungsluft, die unvergleichbar gemütliche Stimmung der Innenbeleuchtung. So noch einmal ganz anders als Kerzenlicht.

»Eva hat gerade auf eine Website gewechselt, die den Titel GAY MEN DRAW VAGINAS trägt, da rumort es in ihrem Notebook, und Henri in Frankfurt verlangt aufgekratzt, sie möge auf der Stelle ihr Bildtelefon aktivieren. Er möchte seine Geliebte gern ausführlich in Augenschein nehmen; nicht nur ihr bewegtes Brustbild (in einem ausgeschnittenen weißen Nicky mit Trompeten-Ärmeln). Also erhebt sich Eva und streckt ihren (in pastellblaue Shorts gekleideten) Unterleib ganz nah gegen die Bildschirmkamera hin und steigt nach kurzem Verharren auch noch auf ihr Sofa, um Henri ihre unbekleideten langen Beine auf SKYPE zu präsentieren. Dann möchte er noch ihr Gesicht bewundern, bittet Eva darum, eine winzige Unregelmäßigkeit in ihrer linken Braue glattzustreichen, und sie muß ihren Kopf auch zur Seite drehen, damit  er sich an ihren (genau genommen, gar nicht vorhandenen) Ohrläppchen delektieren kann.

Der ferne Freund am anderen Ende der Leitung macht eine Reihe von Screenshots, in deren Betrachtung er sich vor dem Einschlafen genüsslich VERLIEREN möchte, und meldet sich dann zufrieden wieder ab.«

Beim Abspülen versuchte ich den Gesprächen auf dem Blauen Sofa im Livestream zu folgen, dachte zwischendurch kurz, ich hätte eine alte Sendung aus der Mediathek erwischt, weil mir die Antworten der männlichen Stimme so vertraut erschienen waren, aber bei Kontrollblick zeigte sich dort eben nicht Friedrich Liechtenstein, sondern Markus Lüpertz – zu identifizieren allein schon durch einen ganz anderen Bart –, der mittlerweile auch schon nicht mehr über seinen Ruhm sprach, sondern über Gott (live).

Später suchte ich auf Youtube den Schnipsel einer Lesung von Thomas Meinecke aus Selbst, für die er das T-Shirt des Robert Johnson angezogen hat, das er in seinem Roman gerade kauft, während Henri und Eva sich über Skype verständigen. Seltsam, wie durchwegs anders mir meine innere Stimme diesen Text in den letzten Tagen vorgetragen hat. Und wie andersartig mir der Charakter des Textes nun, da er mir von seinem Autor dargebracht wird, erscheinen will. So, als hätten wir uns am Ende missverstanden: der Autor, seine Stimme, die meinige und ich. Aber das ist ja nicht möglich, glücklicherweise.