22.4.

Wie eine Dame, die obenrum Bikini trägt und ab den Hüften einen Flokati umgewickelt hat, zeigt sich dieser Tag mit blauem Himmel und einem aufgewühlten See, der mit seinen Wellen eine Menge Schaum in die Bucht getrieben hat. Die Zweige biegen sich, die Weide wallt. Die Mahonien blühen in dichten gelben Trauben und wenn der Wind richtig steht, weht er den Honigduft der vielen Blüten bis zu mir heran. Am Strandbad stehen die weiß lackierten Standkörbe dicht an dicht und in den Nachrichten hieß es, dass sich in einem Freibad in der Pfalz eine Frau umgebracht hat. Angeblich befanden sich zum Zeitpunkt des Selbstmordes 25 Personen in ihrer nächsten Nähe. Die Zahl wird exakt gemeldet, aber nicht wie, auf welche Weise die weibliche Person vor den 25 Augen-, vielleicht ja teilweise auch nur Ohrenzeugen darunter, sich selbst ermordet hat. Das soll, klar, geheim bleiben, um niemanden auf falsche Gedanken zu bringen. So als gäbe es Geheimrezepte, die wie Anleitungen zum Bombenbauen oder Drogenkochen sind, und wenn die erst in Umlauf gerieten, dann brächten sich bald viel zu viele weibliche Personen um.

Ganz in Gelb, zumindest obenrum, und wenn sie ihr Haar nach vorne über die Schultern fallen ließe, erinnerte sie an eine zeitgenössische Gioconda: Pinar Atalay moderiert die Tagesthemen hinter einem von zwei biomorph geformten Pulten stehend, die palettenhaft geschnittene Tischplatte leuchtet blau. Im Hintergrund ist eingeblendet die vergrößerte Aufnahme einer Hecke zu sehen, deren Sträucher zur Seite gebogen erstarrt sind wie auf einem Gemälde von Vincent van Gogh. Auf einem kahlen Stamm steht in weißer Handschrift die Zahl 10. Das ist die Kulisse. So sieht das Bühnenbild aus in dem Frau Atalay erscheint, um über den Hintergrund des Bombenanschlages auf den Mannschaftsbus des Dortmunder Ballspielvereins Borrussia zu berichten.

Aber ist es denn wirklich eine so unfassbare Tat? Ist es denn tatsächlich so unbegreiflich, dass eine Person, um an Geld zu kommen, andere Menschen, die sie gar nicht persönlich kennt, ermorden will? Und diese Methode mit der Kursmanipulation, die als besonders perfide beurteilt wird – perfider als Kindesentführung, perfider als Schokoladenhasen vergiften und den Discounter erpressen, perfider als Banküberfall eventuell – hat nicht schon Gert Fröbe als Goldfinger mit dem Geschwader von Pussy Galore versucht, den Staatsschatz von Fort Knox mit einer Kobaltbombe zu verseuchen, um dann vom manipulierten Goldpreis profitieren zu können? Ging es im Reich der Fiktion nicht überhaupt schon ziemlich oft um böse Personen, sogenannte Bösewichte, die andere Menschen, die sie gar nicht persönlich kannten, ermorden wollten, um an viel Geld zu kommen? Ich wusste bis dahin gar nicht, dass ein Fußballverein Aktien ausgibt. Ich wusste auch nicht, dass man bei der Comdirect Bank, die andauernd vertrauensvoll Werbemails an potenzielle Kunden, die man bei Comdirect gar nicht persönlich kennen kann, verschickt, ohne selbst Geld zu haben, auf Kredit übers Internet Anteile an Unternehmen kaufen kann, deren Unternehmer man gar nicht persönlich kennt. Und ich wusste auch nicht so ganz genau, dass es Unternehmer gibt, denen es gleichgültig ist, wer sich eventuell kreditfinanziert Anteile an ihrem Unternehmen kauft, und ob das Geld, mit denen diese Anteile an ihrem Unternehmen gekauft wird, diesen wildfremden Anteilseignern in spe gehört, oder nicht. Wo es herkommt. Wodurch es erzeugt wurde. Womit.