22.4.2019

An der Schiffsanlegestelle steht bei Sonnenschein ein Mann, ehemaliger Architekt, der für Kinder aus Seifenlauge Blasen macht. Er hat sich dafür ein Gerät gebaut aus umfunktionierten Angelruten, zwischen denen er ein mit vielen Schlingen versehenes Seil aufspannt. Aus jeder dieser Schlinge löst sich eine Kaskade von Seifenblasen in den Wind. Er hat gute Laune, obwohl die Stadtverwaltung seit geraumer Zeit versucht, ihm dies Handwerk zu legen. Den Schriftverkehr mit der Bußgeldstelle hat er auf einem Pappaufsteller in Nähe seines Laugenkübels aufgestellt. Offenbar verstösst er mit seinem geräuschlosen Tun gegen eine Verordnung, die ursprünglich die Straßenmusikanten von der Uferpromenade fernhalten sollte. Außerdem, so wird in einem der ersten von mehreren Amtsbriefen argumentiert, trieben die von ihm hervorgebrachten Seifenblasenschwärme durch die Kapriolen des Windes unkontrollierbar bis in die Bäume des nahen Parks, wo sie sich teilweise im Geäst verfangen. Er sagt »Ich habe schon tausende Franken an Bußgeldern bezahlt.« 

Beim späten Mittagessen in der Kronenhalle waren wir glücklicherweise so gesetzt worden, dass unser Blick auf den schönen Picasso dort ging, auf dem er sich selbst beim Malen festgehalten hatte. Dass er es ist, darauf weisen drei blaue Querstriche hin, die sein gestreiftes Matrosenhemd andeuten. Besonders schön finde ich, wie er den Pinsel in seiner Hand gemalt hat: mit einem einzigen Strich schwarzer Farbe, der eine schwungvolle Gespanntheit in sich hat und trotz aller Abstraktion ganz Pinsel ist.

In unserem Rücken saß, das war leider deutlich zu hören, ein deutscher Erfolgsmensch, der seinen Schweizer Gastgebern in der Tonalität eines Alphorns eine ununterbrochene Rede hielt, die dann so lang dauern sollte wie unser Mittagessen. Also anderthalb Stunden. 

Es begann mit einer von ihm als Urszene seines Erfolgslebens begriffenen Begebenheit in New York City, da war er gerade erst achtzehn Jahre alt und von seinem Vater nach Übersee geschickt worden für ein Praktikum. Untergebracht in der Wohnung eines Geschäftsfreundes des Vaters an der Fifth Avenue und dort wiederum im 48. Stock, traf er dort an einem der ersten Abende gleich in der Aufzugskabine auf eine deutlich ältere Frau, die eine Orange schälte. Auf dem gemeinsamen Stockwerk, dem 48. angekommen, bat sie ihn in ihre Wohnung herein, wohl unter einem für ihn nicht durchschaubaren Vorwand, um ihn »zu nageln.« 

Friederike, dabei von ihrem Weißen Schwartenmagen aufgabelnd, meinte kopfschüttelnd, dass eine Frau doch einen Mann gar nicht nageln kann.

Er aber, der sich, sein erzähltes Ich Oli nannte, fuhr fort damit, dass er in Folge und noch immer erst achtzehn Jahre alt, mit dieser Frau, die er jetzt als Mrs Robinson in blond bezeichnete, ein Verhältnis führte, im Zuge dessen sie ihn allabendlich vor dem Nageln in die schönsten Restaurants in Manhattan ausgeführt hat, wo sie ihm dann jeweils unter dem Tischtuch die nötigen Dollars zugesteckt hatte, damit er die Rechnung begleichen sollte, damit niemand auf den Gedanken käme, dass er ihr Toy Boy sei. Seine sentimental education gipfelte dann eines Nachts darin, dass er sich, neunzehnjährig, in einem Jacuzzi wiederfand mit Ausblick auf den Central Park »Whisky in der einen Hand, Zigarre in der anderen. Und ich dachte: Oli, geiler als jetzt wirst du es nie wieder haben.« Da hatte er mittlerweile schon Donald Trump kennengelernt. An ihm hatte sich, daran ließ er keinen Zweifel, ein Gutteil des späten zwanzigsten Jahrhunderts manifestiert.

Ungerührt vom unaufhörlichen Blasen des Hornes hatte der Kellner einen fahrbaren Rechaud an unseren Tisch herangerollt, um uns den zweiten Rösti zu braten. Auch als der sogenannte Oli verkündete »Die Schweiz ist ja inzwischen mehr Steuerhölle: ich zahle hier 40 Prozent!« rief dieser Affront in der weiten Halle noch weniger hervor als ein Brosamen, dem man dem Schwan drüben am Ufer auf die Oberfläche des Sees hinwirft.

Ringsum unter der Decke sind die Zunftwappen der Stadt angemalt. Neben dem von Meisen steht in Fraktur »Edle Künste sind nicht Dünste, wie ein niedrer Sinn Euch lehrt. Auch den Musen hat am Busen unser Zürich Raum gewährt.«