22.5.

Mit »My tongue will tell the anger of my heart, or else my heart, concealing it, will break«  zitierte Arca gestern nachmittag William Shakespeare auf Twitter, genau um 14 Uhr 07 (7 Retweets, 28 Likes). Leider war ich wie blind für die seltsame Symmetrie dieser Zahlen, für deren Schönheit; selbst die Anmut des Tweets, einer Kombination aus 86 Zeichen und einer Abbildung kam nur halb und wie verwaschen zu mir durch. Wut macht blind, mich zumindest, und um 14 Uhr 07 war ich extrem wütend, extrem blind, im Ergebnis stumm, dabei war da schon alles seit einer Stunde vorbei. Angeblich. Und trotzdem.

Beim Nachhausekommen hatte ich im Briefkasten einen eigenartigen Umschlag der DHL gefunden. Darin eine Benachrichtigungskarte: Angeblich hatte man mir vor zwei Tagen schon versucht, ein Paket zuzustellen – warum erhielt ich diese Benachrichtigung denn erst jetzt? Ich musste auf dem Fahrrad hin, denn am Samstag würde diese Filiale bereits um 13 Uhr schließen. Ich fuhr ziemlich schnell.

Als ich um zehn vor eins die Filiale betrat, verdrehte der Schalterbeamte, den ich besonders verabscheue, seine Augen und beschwerte sich für seine wartenden Kunden deutlich hörbar, dass »kurz vor Schluss« noch solch ein Stress entstünde. Im Anschluss daran verabschiedete er sich, noch etwas vernehmlicher: »aufs Klo«. Er ist ein armes Würstchen, bei anderer Gelegenheit hatte er mir ein, zwei Male schon beinahe Leid getan, weil er durch seine ständiges Besoffensein auch tatsächlich Mühe hat, zum Beispiel Briefmarken zu verkaufen. Einmal hatte er mir den hinter seinem Tresen aufbewahrten Tesafilm verwehrt, mit der Begründung, er sei nicht verpflichtet, den Kunden mit Klebestreifen auszuhelfen. Daraufhin kaufte ich ihm eine Rolle Klebeband zu einem überzogenen Preis ab, woraufhin er mich beim Kassieren derart listig anschaute, dass er schielte. Generell meide ich den Besuch in meiner Postfiliale, wo es nur geht und fahre zum Einliefern meiner Sendungen nach Schöneberg, weil auf dem Postamt dort ein paar umgängliche Schalterbeamte arbeiten. Nun aber ging es nicht anders, denn angeblich lagerte ja meine Sendung dort.

»Oh je«, rief die Kollegin des Toilettengängers, als ich den eigenartigen Umschlag aus meiner Tasche zog: »Da können sie gleich wieder nach Hause, denn von diesem Tag haben wir keine einzige Sendung hier.«

»Warum?«

»Tja, woher soll ich das wissen«, sagte die Postangestellte. »Uns sagt man ja nichts«. Und dann fing dieser traurige Monolog an von denen da oben und ihnen da unten, ich will so etwas nicht hören, dafür gibt’s in Konzernen einen Betriebsrat. Sie lachte künstlich: »Betriebsrat, wenn ich das schon höre –«

»Okay, wo ist mein Paket.«

Der Kollege noch immer Backstage, sie schaute auf die Uhr und schob mir einen Vordruck der Beschwerdeabteilung in Bonn über den Tresen. Ich erklärte ihr freundlich, dass ich dort auf gar keinen Fall anrufen würde, ich kenne die Warteschleife, und fragte sie stattdessen noch einmal eindringlich, was mit meiner Sendung passiert sein könnte. Sie gab zwar zu, dass sämtliche Sendungen an diesem Tag verschwunden seien, andererseits dürfte sie mir aber nicht verraten, warum oder wohin.

Ich würde mich als geduldigen, manchmal vielleicht sogar zu geduldigen Menschen bezeichnen. Aber ich habe daraufhin total und absichtlich die Kontrolle verloren. Die Beamtin schlug beschwichtigend vor, dass man den Zusteller aufhängen sollte. Als ich eventuell auch etwas zu laut betonte, dass ich dieses Paket extrem dringend haben wollte, sagte sie: »Wenn es etwas so wichtiges war, warum schicken sie es sich dann nicht per Mail?«

That kind of did it for me. Man drohte mir damit, die Polizei zu holen. Ich bat förmlich darum und sagte: »Sehr gern«. Der Kollege vom Klo bedrängte mich mit der Jalousienkurbel und schubste mich damit bis vor die Glastür. Dann schloss er sich mit den noch im Postamt verbliebenen Kunden ein.

Ich zitterte von dem vielen Adrenalin und wählte die Nummer der Beschwerdestelle. Man wusste aber auch dort, in Bonn nicht, was los war. Ich hätte mit der eigentlich freundlichen Frauenstimme gerne über diese Szene in der Baz-Luhrmann-Verfilmung gesprochen, in der der Fedex-Bote zur falschen Zeit nach Mantua kommt, und der Kleber an Romeos Wohnmobiltüre fällt ab und verschwindet im Staub, woraufhin ja bekanntlich Punktpunktpunkt. Und ich hätte dann, wenn es gut gelaufen wäre, unser Beschwerdegespräch, auch noch weiter aus Katherines Monolog vorgetragen: »Your betters have endured me, say my mind and if you cannot best you stop your ears«. Aber sie verhielt sich wie ein Automat, diese Person am anderen Ende der sogenannten Leitung. Wann immer ich etwas nicht Datenhaftes hineinsprach, blieb sie einfach still. Sie versprach mir wohl, eine E-Mail zu schicken (die freilich nie eingetroffen ist). Zu meiner Wut sagte sie nichts. Als ich ihr zu erklären versuchte, dass es sich bei dieser Sendung um etwas von ausgesprochener Wichtigkeit handelte, sagte sie noch nicht einmal: »Tut uns leid«. Zu den von mir beschriebenen Zuständen in der Filiale kam kein Kommentar.

Scheiß Apfelbäumchen.