22.6.

Das war also der längste Tag des Jahres. Es hat bis kurz nach zehn gedauert, bis die letzten zitronengelben Reflexe von der Wasseroberfläche verschwunden waren. Da war die Sonne selbst schon längst hinter dem Waldrand am gegenüberliegenden Ufer versunken.

Der Ostersonntag fällt 2017 auf den 16. April. Ich nahm meine Fingerknöchel zuhilfe und rechnete – 9, 31, 31, 30 usf. – aus, wieviele Tage noch blieben, bis das Jahr 2016 nach meiner Zeitrechnung zuende gegangen sein würde: 358. Noch 358 Einträge also über die Krähen und Enten, die Nachtigall und die Amsel, die Rauchschwalben, die Hornissen, die sich in dem Loch im Mauerwerk unter meinem Balkon ihren Bau eingerichtet haben und die interessanterweise erst nach dem Einbruch der Dämmerung so richtig aktiv werden; 358 Einträge über Schnecken und Schwäne, über den Kormoran und den Reiher, die Blässhühner, die schon wieder alles verloren haben und die bereits entweder unermüdlich oder unbelehrbar oder uneinsichtig an genau derselben Stelle unter dem Steg ihr mittlerweile drittes Nest der Saison beginnen zu flechten. Überhaupt, der sogenannte Wechsel der Jahreszeiten – bald kommt ja schon der Herbst, die Laubfärbung!!! Die kam bis jetzt ja noch gar nicht vor. Und dann noch einmal der witzige Winter mit seiner Kälte und dem Wind und da werde ich ganz bestimmt wochenlang das Bett nicht verlassen aus Protest. Und denke mir Sätze aus, die sich nur unter Riesenverlusten ins Englische übertragen lassen, wie beispielsweise: »Mit einer gebatikten Krawatte, die er sich selbst gebunden hatte«.

Ob der See wohl zufrieren kann? Neulich hörte ich im Café gegenüber eine Frau von der Wildschweinplage erzählen. Sie sprach – klaro besitzt sie den Jagdschein, das sah ich ihr von der Frisur her an – von einer »dreibeinigen Bache«. Hihi, diese Jäger. Die reden ja auch vom Ansprechen, wenn sie eigentlich abschießen meinen. Ein paar Meter die Straße runter gibt es ein pseudo-österreichisches Schnitzelrestaurant, das heißt Halali. Aber wenn man auf dem Fahrrad sich nähert, dann wird der letzte Buchstabe des Wirtshausschildes die längste Zeit von einem herabhängenden Kastanienzweig verdeckt. Und ich lese dann immer »Wirtshaus Halal« – in Frakturbuchstaben! Sieht irgendwie angenehm aus für mich. Könnte gerne so bleiben.

358 – die Zahl kommt mir seltsam hoch vor. Sind ja beinahe noch einmal so viele Tage wie ein Jahr im Gregorianischen Kalender hat. Ist denn bis zum längsten Tag des Jahres nicht rein rechnerisch bereits ein halbes Jahr vergangen? Ich bin schon zu müde, um noch einmal nachzuzählen. Aber so wie ich mich kenne, ist bestimmt nicht nur ein Rechenfehler drin. Macht aber nichts. Ich werde es ja erleben, ob es stimmt oder nicht.