23.1.

Theoretisch könnte es in sechs Wochen schon tatsächlich März sein. Das scheint unvorstellbar. Auch, dass es jemals wieder hell werden könnte vor halb neun. Dass jemals die Sonne wieder scheint. Gestern, kaum dass ich fertig war mit meiner Klage über die Finsternis und das Brandstättenhafte der Landschaft vor meinem Fenster, hatte es sich dort wie mit einem Schlag aufgeklart: In den Zweigen des großen Baumes saßen – ich hatte meine Brille nicht auf – mehrere Pinguine, und sonnten sich hoch in der Luft.  So sehen die hiesigen Nebelkrähen aus, wenn beim Aufplustern ihr lehmfarbenes Untergefieder zum Vorschein kommt. Bei Plustemperaturen wirken sie elegant und von ihren Farben und der vom wie lackierten Schnabel aus abwärts getuschten Form wie belgische Polizeibeamte - aber bei minus vier Grad Punktpunktpunkt (Für diesen Sketch braucht man vier bis fünf Eiswürfel. Man verbirgt sie in der hohlen Hand, die man sich auf Hüfthöhe hält, und fragt in die Runde: »Wie pinkeln Eskimos?«)

Es ist generell eine ganz schlechte Zeit, um etwas zu erleben. Die Tiere frieren. Selbst wenn sie nicht frieren, machen sie so gut wie nichts, noch nicht einmal Geräusche. Und die Menschen beeilen sich vor allem, um rasch wieder von der Erdoberfläche zu verschwinden, sodass es auch, wenn es erst hell geworden ist, so gut wie nie etwas Interessantes zu sehen gibt draußen. Und ob man sich das ehrlich wünschen sollte, dass bei einem zu Hause ordentlich was los ist – ehrlich gesagt: lieber nicht.

Abends spät dann zeigte ich Enea noch den russischen Supermarkt am Stuttgarter Platz. Für einen Schweizer ist das ein wirklich exotischer Ort. Auf der Langstraße in Zürich gibt es diverse asiatische Läden und Imbisse, aber wie die Nebelkrähen haben sich die russischen Unternehmen vor allem in Berlin angesiedelt. Den russischen Supermarkt gibt es schon ein paar Jahre, aber mittlerweile wurde er vom Farbkonzept her überarbeitet. Über den Regalen reicht ein Fries aus grellen Plakaten bis an die verspiegelte Decke. Allein das Regal mit den Würsten ist sehenswert – man bekommt nicht unbedingt Lust darauf, die Würste zu probieren. Dasselbe gilt für eine Wand aus Schütten voller Bonbons in vielen Größen: Hier reicht der Anblick der glitzernden Einwickelpapiere als Genuss. Der Alkohol, in einem russischen Supermarkt interessiert das freilich, wird in Bedienung verkauft. Wie in unseren Supermärkten in der Schweiz und in Deutschland Käse und Fleisch. Die russische Verkäuferin steht hinter ihrem Tresen in einer Nische des Marktes. Die daraufhin zuführenden Regale enthalten Weinflaschen, manche sind aus Georgien (zu erkennen an den wie von Außerirdischen im Film erdachten Schriftzeichen auf den Etiketten). Schnäpse nur auf Anfrage, beziehungsweise nach dem Beratungsgespräch. Es waren aber, was schade ist, keine Russen da, die Schnaps kaufen wollen. Es waren im Grunde überhaupt keine Russen da. Bis auf die Schnapsverkäuferin. Der Supermarkt hat 24 Stunden durchgehend geöffnet. Auch sonntags. Aber um jetzt abzuwarten, bis ein Russe kommt, den wir beim Einkaufen beobachten dürften, dazu war es uns gestern spätabends auch im Supermarkt noch zu kalt.