2.4.

Wir saßen auf dem Balkon und fragten uns gegenseitig die Hessischvokabeln ab. Der Nachbar telefonierte nicht, weil etwas braute sich auf dem Garagenhof zusammen. Dort unten stand er, deutlich sichtbar, weil er aus Gründen, die auf die Feier des Tages hindeuteten, in einem schwarzen Anzug mit dunklem Hemd aus seidig glänzendem Stoff seine Familie repräsentierte im Kreise einiger anderer Herren. Sie hatten sich um eine Biertischgarnitur herum aufgestellt, deren im charakteristischen Ton lackierte Oberfläche mit den abgezupften Blütenblättern von Geranien bestreut war. An den Garagentüren selbst klebten einige Bündel Luftballons. Der Nachbar telefonierte. Das Ganze machte einen verkrampften Eindruck.

Bis sich die Frauen ihnen hinzugesellten. Sie brachten Bonbonieren und trägerweise Fanta und Cola in Familienflaschen zu anderthalb Litern auf den Tisch. Sie waren allesamt üppig vom Körperbau her. Die Kleider aus Samt und Glitzerstoffen, die wie Kostüme aus einer tschechischen Verfilmung von Schneewittchen anmuten sollten, trugen freilich noch zusätzlich auf. Von den Frisuren her tendierte die Opulenz dann wiederum ins Ostafrikanische, was uns aber einleuchtete, da in unserem Viertel hier nun einmal sämtliche Salons von Äthiopiern betrieben wurden. Das war einfach Fakt.

Dem vielversprechenden Auftakt zum Trotz vergingen dann beinahe zwei Stunden auf eine Weise, die unsere Schaulust auf die Probe stellte. Weder kamen neue Gäste hinzu noch wurde des Buffet nennenswert aufgefüllt. Durch mein Fernrohr hatten wir längst auch sämtliche Einzelheiten studiert, wir kannten jeden Keks, der dort lag. Bloß halt was gesprochen wurde blieb rätselhaft, da hätte uns auch ein Höhrrohr nichts gebracht. Als die Mume aus dem dritten Stock herbeigetragen wurde, wussten wir aber, dass es nun zur Sache gehen würde. Von Beschneidung über Wittwenverbrennung bis Erntedank war alles drin.

Der Autokorso stellte alles in den Schatten, was wir an Autokorso in Erinnerung behalten hatten. Die nicht gerade breite, auch nicht lange Straße war im Nu mit schwarzen Autos gefüllt. Ein bisschen erinnerte uns das an den Vorgang des Wurstens, bloß halt dass die Würste nicht hupen, während man sie füllt. Die Braut entstieg ihrem schwarz glänzenden Gefährt in einem roten Kleid aus Tüll in so vielen Schichten, dass der Umfang ihrer Rocksäume circa fünf Meter maß. Einem Lieferwagen mit Offenbacher Kennzeichen war das auf der Seite in Elektrikerschrift angekündigte Trio entsprungen, allerdings war es dieses Mal nur zu zweit: Umhängetrommel und Klarinette. Ungewohnt eigentümliche Musik von einer fremdartigen Schönheit. Alle tanzten auf der Straße. Bonbons wurden herumgereicht.

Um uns etwas abzuregen und auch, weil das wichtig ist, den Tag auch noch von innen her in den Griff zu bekommen, brachen wir zu einem Spaziergang ins schöne Westend auf. Dort natürlich ins Café Laumer. Eine Oase, mehr gibt es zu diesem vielfach völlig zu recht in den grünen Klee gelobten Traumcafé nicht zu sagen. Wo Adorno wohl immer gesessen hat? Wir trauten uns nicht zu fragen. Auf dem Heimweg kamen wir an einem Grünstreifen zwischen zwei eben erst errichteten Mietskasernen am Rande der Europaallee vorbei, auf dem saßen zwei Hasen. Wir störten sie nicht.