24.6.

Leider, leider muss ich diesen Eintrag in zwei Teile sozusagen brechen, denn mich ereilte das nicht nur sogenannte Reporterunglück. Hatte ich nun über die letzten Wochen hinweg den amerikanischstämmigen Hipster, eine Sie, dabei beobachten können, wie sie in dem Erdbeerhäuschen neben dem kleinen Café gegenüber ihren Dienst versah, war diese Frau halt ausgerechnet an jenem Tag, also gestern, als ich mir Batterien gekauft hatte, um mit ihr ein Interview im Stile der Bottroper Protokolle zu führen, nicht am Platz.

Karls Erdbeere, das Unternehmen, setzt ja im Ostgebiet der BRD, seit neuestem auch in Leipzig nach »eigenen Angaben« ungefähr 400 Verkaufsstände ein, die aus Blech sind, aber so bemalt und geformt wie eine jener Erdbeeren, die dann daraus pfundweise verkauft werden sollen. Zu dem unverwechselbaren Merkmal dieser Erdbeerhäuschen, wie auch der daraus verkauften Erdbeeren zählt bei Karls, dass sich auf dem Häuschen, das, wie gesagt, einer Erdbeere ziemlich ähnlich sieht, auch ein grüner Stiel befindet, der dort sanft gekrümmt in einer gedachten line of beauty and grace in den mehrheitlich blauen Himmel ragt. An jeder Erdbeere mindestens ein Zentimeter Stiel: So wirbt auch Karls für die Unverwechselbarkeit der auf seinen über 300 Hektar geernteten Erdbeeren. Der Stielansatz ist sozusagen Karls Label; seine four stitches, das Markenzeichen an einem Produkt, das schon immer so da war, das wer weiß schon geschaffen hat (auf gar keinen Fall aber Karls).

Mir war in diesem Jahr, dem Jahr 2016, jenem Jahr also, in dem Punk seinen Durchbruch erhalten hätte sollen und soll, aufgefallen, dass in den erwähnten Erdbeerverkaufshäuschen zumindest hier, in meiner Region der Stadt und des Bundeslandes, das ja noch immer Brandenburg hieß, vor allem aus den Vereinigten Staaten angesaugte Hipster dort ihren Dienst an der Erdbeere versahen. Von der Qualität der aus besagten erdbeerförmigen Häuschen verkauften Erdbeeren einmal abgesehen – wie jedermann weiß, wurde das Unternehmen Karls in den zwanziger Jahren gegründet und lieferte bis zum Mauerfall eine vor allem dem Hauptabnehmer Schwartau genehme Feldfrucht, die dort zu einer schleimig süßen Marmelade verarbeitet wurde – handelt es sich um vor allem große rote und gleichförmige Erdbeeren, deren Aroma weder sozusagen »vorschmeckt« noch stören soll beim Verzehr der kostbaren Früchte. Auch fehlen hier die ansonsten in der Textur sandig markant knirschenden Samen, die bei der Erdbeere ja auf der Außenhaut plaziert worden sind.

Ich kann es nicht nur, ich darf Erdbeeren objektiv beurteilen, da ich vor bald nicht weniger als 45 Jahren in einem Erdbeeranbaugebiet geboren worden bin. Deshalb, aber vielleicht auch nicht nur deshalb, buk und rührte meine Mutter zu jedem meiner Geburtstage eine Erdbeertorte, die jedes Jahr identisch geriet (bis auf die Jahreszahl in der Mitte, die aus Schlagsahne war und einem Kreis von auf Sahnehäubchen gesetzten Erdbeeren, die das Tortenrund umzingelten wie die Stundenzahlen einer Uhr; kurz vor meinem Auszug aus dem Elternhaus wurde es dort sozusagen: eng).

Gekaufte Erdbeermarmelade, weder aus dem Hause Schwartau noch sonstwoher, wäre bei uns daheim jedenfalls nie (»net ums verrecke«) auf den Tisch gekommen. Im Gegenteil (mein Vater pflegte »im Geigentiel« zu sagen – »Tadellos.«, »Tadellöser!«) hatten wir unsere sogenannte liebe Müh‘, die alljährlich angesammelten Erdbeermarmeladenglasberge über den Rest des Jahres abzutragen. In den wenigen Wochen der Saison kochte meine Mutter in ihrem Sicomatic derartige Mengen des appetitlich rosafarbenen schäumenden Gemisches, das füllte Myriaden von ausgespülten und -gekochten Gläser in denen ehemals die Gürkchen, Kürbisschnitze oder Senfe gewohnt hatten, dass wir, auch bei großzügigstem Verhalten selbst durch das Verschenken der selbstgemachten Erdbeermarmeladen niemals Herr werden konnten. So lagerten sich in unserem Keller in den rostfreien Regalen von Mauser bald Jahrgänge ein. Der Wein ging bei uns irgendwie schneller weg. Dasselbe galt für die Zucchinifluten, die aus dem Hausgarten zu uns hereinbrandeten, aber das würde eine andere Geschichte.

Jedenfalls verbrachte ich dann gestern sehr viele Stunden, im Grunde war es der gesamte Tag bis um 17 Uhr 30, den ich an meinem Tisch vor dem kleinen Café neben dem Platz, auf dem das Erdbeerhäuschen aufgestellt ist, mit der Olympussy LS-14 griffbereit saß, um einen Schichtwechsel dort drüben abzuwarten*. Aber der fand nicht statt. Der amerikanische Hipster war an diesem Tag, an dem die Temperaturen sozusagen die 30-Grad-Marke sprengten, nicht eingeteilt. Vielleicht war sie erkrankt? Wahrscheinlich aber würde sie morgen, dies in der Erzählzeit von gestern gedacht, also de facto heute, am 24. Juni in ihr Häuschen zurückkehren. Dann würde, nein, werde ich ihr meine Fragen zu ihrem Daseinsgefühl in einem erdbeerförmigen Haus beim Verkaufen von Erdbeeren stellen.

Die Batterien, so hatte mir es der herzkranke Besitzer des Strandkiosk auf der anderen Seite der Schnellstraße versprochen: würden halten noch mindestens einen weiteren Tag.

* Das klingt jetzt so dramatisch, und ich schäme mich beinahe ein bisschen dafür, aber manchmal, also ein Mal im Jahr zumindest muss man halt auch mit seinem Alter Ego konform gehen und das ist in meinem Fall eine Filmfigur (Vgl. Jack Nicholson in Beruf: Reporter).