24.8.

Und tatsächlich begab es sich über Nacht, denn als ich am Morgen des 23. August zum kleinen Café gegenüber strebte, entdeckte ich dort unter dem Kastanienbaum die Zeichen: Jemand hatte die Fassade des Hotels, in dessen Hinterzimmer vor Wochen die klammheimliche Veranstaltung der AfD stattgefunden hatte, mit dem stolzen Fahnensymbol der Antifa besprüht. Und zwar makellos. Jeden einzelnen Blümenkübel. Dazu führte eine Spur von dem Taxistreifen mit den gewaltbereiten Taxifahrern im Stil einer Schnitzeljagd dorthin, wie einst vor Jahrzehnten in Gstaad die rosa Fußabdrücke des Pink Panther (als Blake Edwards dort den ersten seiner Filme mit Inspector Clouseau präsentierte). Und ich sprach den Hotelbesitzer an, der gerade kurz nach Sonnenaufgang damit beschäftigt war, über jede einzeln schablonierte Antifa-Fahne ein Schiefertafelimitat hängen zu lassen, auf denen er seine Truckersteaks und Matjesfilets annoncierte: »Schau, ich hatte es dir prophezeit! Würdest du deinen Frischfischhandel aus der Grauzone deines Hinterzimmers auf der Straße bewerben, hättest du eine Vermietung an diese Leute doch gar nicht mehr nötig.«

Woraufhin er sich reuig gab, und mir gegenüber Besserung gelobte.

Dann diese Zeitung, danach zum Friseur. Potsdamerstraße 155 — das kann ich mir leicht merken, denn es ist ja dieselbe Hausnummer in der nur anders benannten Straße mit selbem Verlauf. Und es kam, wie es kommen musste – mittlerweile sind wir einander ja ein wenig vertraut: »Was machen Sie eigentlich beruflich, wenn ich fragen darf?«

Nach all den Jahren, Jahrzehnten mittlerweile, verspüre ich noch immer diese Hemmung, ich suche nach einer möglichst kleinlauten Bezeichnung. Und, weil ich die darauffolgende Frage bereits erwarte, frage ich ihn: »Was heißt denn Liebe auf Arabisch?«

Und er: »Habibi (حبائب)«.

Ich: »Na, ich meine das etwas Intimere!«

Er: »Hayet (محبة). Hayet, oder Hob (حب)«.

Das deckt sich mit meinen Recherchen. Wobei im Internet ja auch behauptet wird, es gäbe im Arabischen weit mehr als hundert verschiedene Worte für Liebe (so wie bei den Inuit, die kennen ja angeblich hundert verschiedene Worte für Schnee – aber welchen Schnee: tauenden, fallenden, tags, nachts, im Gegenlicht?, pulvrigen, überfahrenen, angepissten, überfrorenen, in den Händen nach Hause getragenen Schnee?). Und wenn ja, kann das Wort für Liebe des Arabischen Hob dann auf das Deutsche Sprichwort Wo gehobelt wird, da fallen Späne hindeuten? Frage ich natürlich nicht.

Danach ging ich mit Tabassom ins Persepolis, weil mir die Idee, warmen Hummus zum Frühstück zu bekommen, derart Lust gemacht hatte, Orientalisch zu essen. Da war ein kleiner Spatz (گنجشک), der sich in den Gastraum verflogen hatte, und nach einer Weile seines Herumfliegens landete er vor dem großen Spiegel und pickte sich an. Der Kellner, der uns Sabzi brachte, erklärte: »Ja, das ist an jedem Morgen so. Wenn wir dann mit dem Brotbacken anfangen, kommen die großen Vögel herein, die ihnen den Weg nach draußen zeigen.«

Dann kaufte ich ein obszön billiges Sweatshirt von Vetements in schreiendem Violett. Und als ich meinen Aperitiv bestellte, tippenderweise, haute mir plötzlich einer auf die Schulter: Vely, der Busfahrer, den ich seiner Ferien wegen seit Wochen nicht mehr gesehen hatte. Er sah gut aus und sagte: »Schaut her, hier schreibt jemand ein Buch!«

Ich saß dort neben dem Hotel, dessen Betreiber es mittlerweile gelungen war, sämtliche Stolperflaggen mit seinen Essensempfehlungsschildern zu verbrämen. Und wartete auf Eric, der meine Wohnung reinigen würde, wie er es einst im Dienst der amerikanischen Marine in U-Booten gelernt. Ich händigte ihm den Schlüssel aus und dazu eine Sprühflasche Fensterreiniger, die er dringend benötigte. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der derart selbstbewußt mit einer Flasche Fensterreiniger über den Platz marschiert. Ich war so stolz auf ihn. Nächste Woche gebe ich ihm Tampax.

Und ich sagte zu Lydia, die ihn mir vermittelt hatte: »Eric is the sweetest guy in the world«.

Und Lydia sagte: »I know. If I wouldn’t like girls, I would like him«.

»Does he know that?«

»We lived together for years. He knows.«