25.12.2019
Auf den Aufsatz von John Berger war ich hingeführt worden durch eine Begebenheit bei Tisch im Hause Jäger, als dort ein Gast, der mir bis zu jenem Abend unbekannte Student der Theologie Manuel, eine heitere Anekdote aus der Geschichte seiner Kirche auferzählte, in der es um die in der Fastenzeit vor Weihnachten erlaubten Tiere, nämlich «die aus den Wassern» ging — eine Erlaubnis, die insbesondere in den Klöstern bald zu einer fantasievollen Schlemmerei durchs Hintertürchen führen würde, wie Manuel erzählte. «Waller mit Meerrettischsauce», geriet Lorenz Jäger, wie Manuel ein Katholik, dabei ins Schwärmen, während doch in der Wirklichkeit gerade eine herrliche Scheibe Roastbeef vor ihm auf dem Teller lag. Doch pflichtete Manuel ihm, dabei vor einem ähnlich schön gefüllten Teller sitzend, bei: «Gewiss, aber als sie dann erst mit den Enten aus dem Teich ankamen, ward es zu weit getrieben.»
Köstlich! Eben dieser Manuel übrigens gab uns gegenüber seinen Berufswunsch mit Priester an. «Pfarrer auf gar keinen Fall» — mir war bislang der Unterschied nicht klar. In dem Sinne eigentlich Schade, dass wir Protestanten sind. Und so gab es gestern weder mit Jäger, noch mit Manuel, oder gar mit Mosebachs ein Wiedersehen, als wir uns, noch während die Domglocken läuteten, in die Alte Nikolaikirche stahlen. Im Innenraum dieser Kirche stört mich einzig die Orgel, deren Gehäuse für meinen Geschmack ein wenig zu sehr an einen Bauernschrank erinnert; also dass es das überhaupt tut, scheint mir schon zuviel. Doch sass dort gestern droben an Balg und Tasten mit Lars Voorgang ein Meister, der in seinen Präludien beinahe extatische Improvisationslust zeigen wollte und dann noch, wie um nur unser beider Privatgefallen zu erregen, ein Vorspiel auf der vergötterten Celesta erklingen liess (die gibt es wohl als Einbaumodul vom Celesta-Spezialisten Schiedmayer, und die wohlhabende Gemeinde kann es sich auch leisten). Herrlich dann auch seine Toccata über «O du fröhliche» nach Grimoaldo Macchia: Technoid malmend, wie es sich in Frankfurt gehört.
Weit nach Mitternacht zu Bett, obwohl ich der Lockung einer Mitternachtsmesse in der Deutschordenskirche widerstanden hatte. Auch weil Manuel mir auf der Heimfahrt verraten hatte, dass er selbst auch den zur Unzeit und dann auch noch in lateinischer Sprache gefeierten Gottesdienst zu schwänzen gedachte, weil Mosebach die Weihnachtstage in diesem Jahr, aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Bauarbeiten in seiner ansonsten bezugsfertigen Wohnung, ausserhalb Frankfurts, mutmasslich auf Schloss St. Emmeram, verbringen wird.
Beim Frühstück empfing ich trotzdem oder aufgrund dessen Inspiration. Verfasste ein kleines Gedicht zu meinem Wohlgericht, dem Ei:
ODE ANS EI
Hinter heller Hüll verborgen
Deines Inn’ren Cremigkeit
Aug‘ und, zugleich: gaumenschmeichelnd
Eiweissfarbend, leuchtorange
Nicht am sogenannten Wasser, Du bist nah an Milch gebaut
Gehörst Du, Ei, dem Gedächtnisschatze an
Mich an meine erste Lieb‘ zu erinnern,
Mich zu begleiten, keusch, Mein Leben lang
Liebe Deines Wohlgeschmackes
Mild mir die Lippen salbender Seim
Die deiner Wunder niemehr satte
Mannigfaltigkeit des Hühnerkeims
Doch auch von Enten, von denen besonders —
himmlische Eier geflügelter Wesen
Auch die von Amseln, von Rotkehlchen, Schwänen
Eier von Engeln? Ach, warum nicht!
Schaum und Kristalle, Salz und Butter
Gold und Braun gestreiftes Brot
Als Ei im Glas, Ei auf dem Teller
Sanft gegart, doch niemals roh
Bist Du dann einst ausgeblasen
Steigst Du auf zum Osterzweig
Eigerippe, Schmuck der Sorben
Bunt gewandet, Herrlichkeit