2.6.

In meinem Gespräch mit Heinz Bude fällt gegen Ende sein Begriff einer »Krise der Leidenschaftlichkeit«, in der sich die Deutschen befinden. Seiner Ansicht nach. Ich kann mich noch gut erinnern an die Zeit, in der das eine Wendung wurde, die sozusagen trendete, noch bevor es Twitter gab oder Vergleichbares. Plötzlich hörte ich von bestimmten Männern dieses »da bin ich leidenschaftslos«. Gerne, beziehungsweise bevorzugt in einer Gesprächssituation, in der es prinzipiell nicht um die Frage nach Leidenschaftlichkeit ging. Also beispielsweise wenn man sich verabredete (»Um halb acht, um acht?«, »Da bin ich leidenschaftslos.«)

Sagt man inzwischen nicht mehr. Dafür fangen jetzt viele Sätze mit einem »Ganz ehrlich?« an, als rhetorische Frage, auch als Zitat natürlich, aus dem Englischen frei übersetzt (kommt vom Seriengucken), bloß um dann etwas zu erzählen, was sich sowieso nicht auf andere Weise sagen ließe als ganz oder ehrlich, denn so ist der dies rhetorisch Fragende nun einmal; so ist sein Schnabel gewachsen.

Gestern früh um sieben erhielt ich eine derart unverschämte E-Mail des ominösen Professor Rattunde, der als Insolvenzverwalter des sogenannten Till Tolkemitt firmiert, dass ich etwas tat, was ich sonst niemals tun würde: Ich rief ganz ehrlich dort an. Und klar: Den angeblichen Professor gibt es in Wirklichkeit natürlich gar nicht, das geben seine leitenden Angestellten zwar nicht zu, aber sie lassen es durchscheinen. Nach einer Weile werde ich aber immerhin von einem zurückgerufen. Das war, als es draußen derartig zu regnen angefangen hatte, dass es nur so rauschte, wie ich es eigentlich in Deutschland noch nie erlebt habe. Ich konnte gerade noch fünf Meter weit sehen, danach war alles bloß milchig und grau und ich konnte meinen Blick von diesem Grau nicht abwenden, in denen das Grün der Bäume sich wie im Nebel verlor und der See sogar darin verschwand, als würde er im Wasser, das draußen vom Himmel fiel, aufgelöst. Trotzdem sprach ich mit fester Stimme auf den Anwalt ein. Viel zu viele Informationen in viel zu langen Sätzen natürlich, ich kann halt nicht anders, insbesondere dann nicht, wenn ich mich aufrege oder aufgeregt habe, kurz zuvor. Und er (auch das eine Wendung aus dem Serienleben): »Ah. Moment, mit wem spreche ich eigentlich?«

Das bringt mich derart außer Fassung, also dieser Gedanke, dass dieser Mensch einfach irgendwo anruft, um seine Telefonliste abzuarbeiten – und es stellt sich dann auch heraus, dass dem exakt so ist: Meine Nummer wurde ihm versehentlich übermittelt. Er entschuldigt sich damit, versucht es zumindest, das Professor Rattunde mehr als eintausend Insolvenzen zur Abwicklung anvertraut seien. Er beispielsweise, das fügt er entschuldigend hinzu, betreue derzeit die Insolvenz der Firma XY und Söhne. Aber damit habe ich ja nicht?

Nein.

Na gut, legt er halt wieder auf und ruft die nächste Nummer an.

Der Regen draußen ging noch stundenlang weiter und dann hörte er innert einer Minute auf, exakt halt so, wie ich das von meinem Duschkopf kenne, wenn ich das Wasser dann endlich abgedreht habe: rausch, rausch, tröpfel, pling plong, Schluß. Aus.