26.1.2020

Wenn man sehr dunkle Haut hat, kann man alle Farben tragen. Selbst die schwierigen, Braun, Gold, Neongrün (Die jamaikanischen Fluglotsen tragen neongrüne Schallschutzhörer und sehen umwerfend damit aus); auch weisse Ohrhörer, weinrote Brillengestelle … grasgrüne Schuhe: An unserem letzten Abend in Kingston sah ich einen alten Rastafari in grasgrünen Schuhen, beziehungsweise hatte er sich einen passgenauen Überzug aus grasgrüner Wolle für seine Schuhe gestrickt. Ich bin mir recht sicher, dass er sich die Gamaschen selbst gestrickt haben wird, weil ich erst am Morgen einen noch älteren Rastafari auf dem Wochenmarkt beobachtet hatte, der im Schatten sass und an einer ähnlichen Mütze strickte, unter der er auch seine eigenen Dreadlocks barg. Das Stricken gehört vermutlich zu dieser Kultur wie die Mütze und das Haar. Dachte ich (und fühlte mich dementsprechend bestätigt in meiner Annahme, als ich dann am Abend im Garten des Devon House mit meinem Eis in der Hand auf den Greis mit den grasgrün überstrickten Schuhen traf.) Er sass vor einer spanischen Wand, hinter der auf kleinstem Raum ein Soundsystem aufgebaut ward. Ausser dem besagten Styler waren noch einige andere Männer mit langen Dreadlocks gekommen. Einige trugen sie wie Luftwurzeln herabhängend oder gebündelt, andere unter den beschriebenen Strickbeutelmützen, einer hatte sein verfilztes Haar in Eryka-Badu-hafte Turbanseide gewickelt. Die Männer lauschten der Musik, die aus der Nische hinter der spanischen Wand zu ihnen drang und wiegten sich im Takt. Sie verströmten Rauch in dichten Schwaden. Einer, der aussah wie der Grossvater von Snoop Dog, hatte zusätzlich zum Ganja-Spliff eine Taschenflasche Rum dabei. Der Abend lief unter dem Motto «Conscious Reggae Party». Der Ras-Tafarianismus hat ja das gleiche Problem wie alle Jugendbewegungen: Ihm geht der Nachwuchs aus.

Aber dann, wir hatten unsere enormen Eise in den Geschmacksrichtungen Rumrosinen, Mandelbutter und Kokosnuss schon beinahe gemundet, erschien ganz wie eine wirkliche Erscheinung der japanische Rasta auf der Bildfläche. Auch er war freilich schon uralt, hatte aber seine Jahresringe in gänzlich unterschiedlicher Weise ausgebildet dergestalt, dass jedes einzelne Detail seines Rastafari-Seins nicht wie gewachsen, dafür wie aufwändig eigens für ihn hergestellt wirkte. So trug, dies nur beispielsweise, auch er sein Haar zu dicken Strängen gefilzt, hatte diese aber mit extrem beiläufig wirkender Sorgfalt zu einem Tropenhelm gelegt oder sich legen lassen, dessen Krempe sein wie aus poliertem Holz geschnitztes Gesicht auch jetzt noch, da die Sonne längst untergegangen war, zu beschatten schien. Von seinem Kinn her abwärts kräuselte sich der Sfumato eines asiatisch angehauchten Bartes und wie um dem noch zu entsprechen, entnahm der als heiterer Wandersmann aus den Blauen Bergen Auftretende seinem Ränzel eine vertiefte Hackplatte aus Wurzelholz, ein wunderschönes Messer und eine komplex aufgebaute Rauchapparatur, zu der unter anderem ein bauchiger Kleinstkürbis, sowie einige Schläuche und Schlote gehörten. Der Grossvater von Snoop Dog und der mit dem Turban scharten sich um den Japaner, während der mit seinem Messer eine üppige Portion seines Ganja-Proviants auf dem Hackbrett fein wiegte, um die Kräuter dann in seinem Kürbis-Bong anzurauchen. Der machte dann noch einige Male die Runde unter den Rastas, zu denen sich mittlerweile auch noch ein holländisches Paar gesellt hatte, die sich seit nunmehr Jahrzehnten schon in Kingston als Reggae-Promotor niedergelassen hatten. Der Mann zeigte aber trotzdem noch Sonnenbrand. Und generell dürfte der jamaikanische Albino Yellowman der einzige sein, der als hellhäutiger Mensch seine Dreadlocks mit Würde trägt.

Ein japanisches Gesicht aber kann jeden Stil noch adeln.

Auf dem Weg zum Flughafen sah ich ein Schild, auf dem stand in weissen Buchstaben einer serifenloser Schrift INTEGRITY IS DOING THE RIGHT THING EVEN WHEN NOONE IS LOOKING.