26.2.

Nachdem er fünfmal hintereinander die Türklingel der Wohnung betätigt hatte, in der ich inkognito leben wollte, ließ ich den DHL-Boten herein und er sagte »Schauen Sie doch nicht so böse, bitte.«

- Ich schaue nicht böse, ich bin bloß neidisch auf Ihren Bart, weil der noch länger ist als meiner.

Das Paket, das er mir überreicht hatte, war eindeutig nicht für mich bestimmt. Absender war eine Firma in Neunirgendwas Metten (subliminal Kunst bestellt???), aber ich wollte keinen Ärger machen, nahm es also trotzdem sozusagen entgegen wie ein Telefonat, das sich mit unterdrückter Rufnummer ankündigte.

- Ach, das kommt doch von allein, versuchte mich der Bote bezüglich meines Bartneides aufzuheitern. Man braucht eben Geduld. Ihren Namen, bitte?

- Joachim.

- Ja -, und Familienname: Gibt es den auch?

- Das ist mein Familienname. Ich heiße Joachim Joachim. Meine Eltern hatten einen Scheißhumor.

- Okay. Heißen Sie wirklich so? Weil: Hier steht was ganz anderes.

- Jetzt sehe ich es erst: Sie haben da ja sogar noch einen Zopf am Kinn!

- Ja, also zu Hause trage ich ihn offen, aber so bei der Arbeit…

- Versteh ich. Also Tschüß.

- Ja, genau. Bis morgen.

- Wie? Wieso das denn?

- Isso. Muss.

Toll fand ich ja das mit den Styroporflocken. Ich schüttete die auf das Parkett zu den Cornflakes und den Mungbohnen, die sich mittlerweile einen zarten Pelz stehen ließen wie der Kaktus namens Greisenhaupt. Doch es war weder eine Gebrauchsanweisung noch eine Grußkarte in dem Paket enthalten. Die Sendung selbst bestand aus einem Föhn für Prinzessin Lillifee, also sehr viel kleiner als ein solcher für Menschen, dazu ganz in Rosa. Der Anschaltknopf war mit einem Kristall von Swarovski besetzt und als ich ihn betätigte, begann eine ganz aus Silikon bestehende Schnaube an der Mündung des Föns in einem Twitterherz-Farbton zu glimmen. Ich hielt die Spitze meines kleinen Fingers an die zierliche Mündung, worauf sie ins Innere der Schnaube gesaugt wurde und im Inneren des Mikroföhns wurde mit ihr etwas Geräuscharmes gemacht. Aber was? Wozu sollte das gut sein? Ein durch und durch rätselhafter Gegenstand. Ich legte ihn in die Schublade, die ich insgeheim die Geschenkeschublade nannte. Dort sollte er bei den anderen Freebies schlafen, bis ich ihn eines Tages würde reif dafür befinden, ihn einem Geburtstagskind zu überreichen. Vielleicht war es ja ein Fieberthermometer? Aber ich hatte kein Display entdecken können. Vielleicht also ein Gerät, das Fieber erzeugen könnte? Aber wo nur diese, das Fieber vermutlich induzierende Düse ansetzen? Rektal? Oral? Egal?

Dann war es wieder so unglaublich fordernd still. Still vor allem, weil ich mich angesichts dieser saugenden Stille entscheiden sollte, zwischen dem, was ich wollte, und dem, was ich sollte. Und es war ja diese Woche, in der ich bloß müssen sollte. Und nichts wollen dürfte. Dabei kann ich ja nur gut sein, wenn ich nichts müssen muss. Auf dem Tischchen lag das großartige Buch von Melanie Mühl über das Weltwissen der 15-Jährigen, in dem ich den Aufsatz über das Liebesgefühl eines 15-Jährigen nicht nur sehr gern, sondern voller Zuneigung gelesen hatte, weil der da so viele richtige Dinge sagt, sodass ich mich fragte, ob mit mir etwas grundsätzlich nicht stimmt, oder ob ich nicht vielleicht noch immer 15 bin. Wäre ja nicht einmal unvernünftig, wenn das dabei helfen kann, solcherlei Gedanken zu haben: »Darüberhinaus finde ich, dass das Übernachten eine sehr intensive Erfahrung von Liebe und Intimität ist. Für mich gibt es nichts Schöneres, als in den Armen eines Menschen mit dem Gefühl von Sicherheit und vollkommener Verbundenheit einzuschlafen und wieder aufzuwachen. Es vermittelt das Gefühl von Beständigkeit, Zuneigung und Vertrauen. Umso verständlicher ist, dass Eltern das oft verbieten!«

Aber den Rest der Lektüre müsste ich wohl, gerade, weil ich eben nicht mehr 15 bin, auf die Zeit nach dem Sonntag verlegen. Weil ich Miete verdienen muss und Essen und Sundowners in der Bar Italia. Schade, weil ich jetzt alles lieber täte als dies. Vor allem täte ich jetzt sehr gerne dies wundervolle Buch weiterlesen, in dem so viele und auf ewig wahre Sätze stehen, aber es hilft nichts, weil: Isso, muss. Also: Das Müssen muss. Und als es mal anders war, hatte ich das noch nicht einmal ahnen können, dass es sich einst mal so ergeben würde. Davon handelt »15 sein - Was Jugendliche heute wirklich denken«.