27.10.

Gestern wurde ich zum ersten Mal mit Diedrich Diederichsen verwechselt. Das war in einem Lokal mit dem Namen Walhalla, in das ich mit Adson, dem Novizen, eingekehrt war. Man sitzt dort an einem langen Tisch, es gibt nur den einen, zusammen mit den anderen Gästen und trinkt Biere. Wir unterhielten uns über Quasi-Monopole und über einen auffällig bunt lackierten Sportwagen von BMW, ein sogenanntes Art Car, das wir auf dem Weg ins Walhalla am Straßenrand vor der ehemaligen Milchfabrik Bolle hatten parken gesehen, weil dort, in der ehemaligen Milchfabrik, der vom Burda-Verlag veranstaltete Digital Life Day abgehalten wurde. Der Novize fragte mich, ob sich dieses Art Car im Licht des digitalen Zeitalters als dreidimensionales GIF verstehen ließe. Ich hatte gerade den Zeigefinger erhoben, um ihm zum einen anzuzeigen, dass er sich da auf einer meines Dafürhaltens nach heißen Spur befand, andererseits aber auch aus einem ganz praktischen Grund, nämlich um noch zwei Biere zu bestellen. Da sagte der uns gegenübersitzende Greis ganz laut und deutlich: »Er erinnert mich an Diedrich Diederichsen«.

Sein Tischgenosse, nur wenig jünger, hatte genickt. Noch immer schauten mich die beiden an – wie ein Fernsehbild. Als liefe dort die Trauerprozession für den thailändischen König Bhumibol.

Ich bat um eine Erklärung. »Na ja, das ist doch klar, dieses gewollt lange Haar, dieser Bart.« »Die Brille vor allem«, gab der andere zu bedenken, der bis dahin geschwiegen hatte, nur geschaut. »Ja, die Brille«, sagte der Greis. »Die vor allem.« Und dann, noch einmal, wie nach längerem Nachdenken: »Die Brille«.

Meines Wissens nach trägt Diedrich Diederichsen gar keinen Bart. Ich übrigens auch nicht. Wenn ich – oder Diederichsen – als Bartträger bezeichnet würden, dann müsste auch Christian Lindner beispielsweise als Bärtiger charakterisiert werden. Wird er aber nicht. Und seltsamerweise war es mir in diesem Augenblick nicht vorstellbar, dass ich noch eine Ära erleben würde, in der Männer wie Diederichsen oder Lindner als Bärtige charakterisiert werden.

Den ausgezeichneten Bilderwitz von Rattelschneck über den Miniatursetzkasten aus abgebrochenen Streichhölzern in Diedrich Diederichsens Ohr in der Wochenendsausgabe der Süddeutschen Zeitung hatten die Greise, von denen der jüngere der beiden als Violinist bei den Kölner Philharmonikern arbeitete, auch nicht mitbekommen. Ich musste gleich wieder sehr lachen, auch laut, als ich ihn versuchte wiederzugeben, beschreibenderweise. Der Initiativgreis behauptete, er sei Privatier. Nur aus Langeweile betreibe er in Berlin, auch er vom Ursprung her ein Kölner, eine Schule für Köbise. Lauernd, beinahe listig forderte er meinen Novizen heraus: »Wissen Sie denn überhaupt, warum der Köbes so heißt, wie er heißt?«

Doch hatte er sich da verschätzt, denn freilich konnte Adson die komplette Herleitung samt Jakobsweg herunterbeten. Daraufhin sah sich der Greis, die beiden tranken freilich Kölsch und zwar vom Brauhaus Früh, herausgefordert, uns seine Kompetenz in Sachen Diedrich Diederichsen vorzuweisen. Es handelte sich bei ihm tatsächlich um den Bruder des früh verstorbenen Gründers der Zeitschrift Spex.

Am Morgen dann rosenfarbenes Licht für wenige Minuten. Vor dem Haus war der gesamte Boden gescheckt mit welken Blättern. Dazwischen lagen, vom Dagegengetretenwerden halbiert, hell die Pilze herum.