27.12.2018

Gewiß ist es unklug, kurz vor dem Feste noch Freunde zu besuchen, die kleine Kinder haben. Zwar hatte man uns freundschaftlich versichert, deren Krankheiten wären längst abgeklungen, aber, im Nachhinein gefragt: woher wollten die das so genau wissen? Ärzte waren es jedenfalls nicht. Womöglich hatten die Kinder sich das gegenseitig diagnostiziert, denn es gab dort jede Menge kleinformatiger Stethoskope, Nierenschalen, Fieberthermometer aus Holz und all dies halt, was diese kleinen Ärzte ohne Hemmungen so benötigen, um ihrer Berufung nachgehen zu können—herumrennenderweise. Mir wurde dann in der sogenannten Ordinationsecke, hätte auch eine Küchenzeile sein können, aber in jedem Fall en miniature, eine Injektion verpasst und zwar subkutan ohne Nadel, wovon ich bis heute noch vier kleine Fleischwunden zurückbehalten habe. Außerdem muß ich annehmen, dass es eben diese nadellose Spritze war, durch die ich mit dem Festtagsvirus infiziert ward. Mit Kindern verhält es sich bei mir ähnlich wie mit Bienen: bei denen denke ich auch vor allem an den Pelz und ihre Dienlichkeit im bienenfarbend gestreiften Kleide, vergesse dabei aber so ziemlich ganz, beinahe, dass sie darin auch einen Stachel bergen, mit dem sie usw.

Die Krankheit blühte dann am Heiligabend direkt nach dem Besuch des Stadtgeläuts auf dem Römerberg und dem Gottesdienst in der Kirche St. Nikolai auf wie zeitgleich die drei Blüten an dem Stengel der Amaryllus auf unserem Fenstersims. Überall Kerzen und Blumen, bald wähnte ich mich schon in der Aussegnungshalle. Das innere Erlebnis wird von Ernst Jünger im letzten Band seiner Tagebücher beschrieben, wenn es heißt »Bin nicht mehr ganz da.« Und von seinem Schopfe aus muß ich dann an das Weißröckchen denken: Du wirbelst herum / Du weiß nicht, wie lange / Woher, und warum.