2.7.2020

Gestern Nachmittag, ich saß in dem verblüffend nostalgisch ausstaffierten Gastgarten des russischen Teepavillons an der Europa-Allee und las im Warhol, da ließen sich die vom Nebentisch herangewehten Stimmen nicht länger überhören (gerade so, als produzierte ich beim Lesen passenden Negativschall). Dort saß in Paar aus meiner Altersgruppe. Im Gegensatz zu mir waren sie beide auffallend modisch gekleidet. Ich dachte an den Dogen von Moabit. Sie las von ihrem Display ab wie von einem Teleprompterchen. Darauf lief der Shoppingkanal:

«Ah, schau, die gibt es jetzt auch von Off White

«Ja ja, ich habe von denen schon die anderen. Und ein Paar reicht mir von denen, muss ich sagen. Mit den super langen Schnürsenkeln sind mir die zu anstrengend zu binden. Wer ganz schöne macht, aktuell, ist Saint Laurent

«Und die hier — von Lanvin

«Ach ja. Lanvin … Kannst Du bitte mal schauen: Farfetch Deutschland Saint Laurent High Top —»

«High Top?»

«Ja. Aha. Plus Umsatzsteuer, plus Handling ihrerseits macht das …»

«Sind die silber, oder sind die weiß?»

Am Vomittage war ich schon von einem mir zwar nicht wildfremden, aber persönlich nicht bekannten DHL-Boten angesprochen worden. Das trug sich zu vor einer Packstation, wo er mich bei der Entnahme eines großen Paketes aus der Automatenklappe beobachtet hatte. In dem Paket befanden sich einige Samples eben jenes Kartonagenherstellers, der auch schon Andy Warhol beliefert hatte mit seinen Kartons, die dann zu den berühmten Time capsules ernannt wurden. Aber das konnte der Bote nicht wissen. Er sagte «Ah, bravo! Den habe ich gerade erst für Sie eingestellt und jetzt nehmen Sie ihn bereits an sich. Das lobe ich mir — bravo! Danke, das nenne ich gelebte Solidarität!»

Ich wartete auf sein Bravissimo. Anscheinend lobte er mich dafür, dass ich meine Pakete zügig abräumte aus der Apparatur seines Arbeitgebers. Ein Verhalten, mit dem ich wiederum ihm behilflich war. Ich war ein Rädchen in seinem System. Machte mich das nicht ebenso zu einem Künstler der Maintenance Art? Schließlich wurde ich doch auch schon gelobt dafür, meine EMails innert weniger Tage zu beantworten.

Bei Gopnik kommt nach dem Tode Andy Warhols keine zweite Auferstehung mehr, sondern ein langes Register der Namen. Das ist das Ewige Leben, sein Afterlife. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, aber ich weiß noch, dass ich Tage gebraucht habe, bis ich das Register von Tristesse Royale zusammengetragen hatte. Es gab noch keine nennenswerte Suchfunktion in Word und ich musste alle Namen von Marken und Personen erst im Manuskript unterstreichen und dann alphabetisch erfassen und — ich glaube, dass ich eine Tabelle angelegt hatte in FilemakerPro, die sich dann aber nicht importieren ließ … Am Ende werde ich alles, vom Ausdruck der Tabelle abgelesen, in die Fassung eingetippt haben.