28.1.
Großes Hallo, aber wirklich, hier draußen im Supermarkt. Gestern, es war kurz vor Mitternacht, ich stand an der Kasse an und füllte derweil online das Geschmacksrätsel von Haribo aus (allerdings nicht ganz im Sinne der Leute in Bonn, denn die Tüte mit den rätselhaften Sorten gab es in ganz Berlin nicht, die hatte mir Friederike per Post geschickt, insofern ist es nicht einmal mehr fraglich, ob Frankfurt am Main einst weltberühmt werden wird, während Berlin in Frankfurts Schatten ganz prächtig gedeiht). Der Supermarkt hier draußen liegt zwischen einer Schnellstraße und dem Wald, der hinter dem Supermarkt auch rasch tiefer wird. Es öffneten sich die elektrischen Schiebetüren und dort in der Öffnung stand vor nachtschwarzem Hintergrund ein Reh. Nicht mehr ganz das Jüngste. Ich weiß nicht, wie groß die final werden können. Das Reh verharrte auf der Schwelle bei geöffneten Türen. Bei uns Menschen herinnen war es supermarkthell, bei ihm draußen noch dunkel. Womöglich war es von einem Bus aufgeschreckt worden beim Äsen auf dem kleinen Spielplatz vor dem Supermarkt, wo überall handgeschriebene Schilder angetackert wurden, auf denen steht »Alkoholkonsum verboten«, dieselbe Botschaft auch in kyrillischen und polnischen Buchstaben. Das Reh starrte die Menschen an, uns, die wir das Reh anstarrten. Eine Erscheinung. Dann machte es einen Satz, streifte den fahrbaren Container mit Säcken voll Blumenerde. Die Türen, blind für das Ereignis an sich, eine dritte Klasse zwischen Menschen und Tieren, schlossen sich.
An der Kasse des Supermarktes saß, wie so oft, der junge Mann, der sehr dick ist. Er sitzt zurückgelehnt in seinem Kassiererstuhl und in den Abendstunden, wenn man mehrfach hintereinander kommt, weil man noch etwas vergessen hatte, riecht man das: vaporisiert er, vielleicht raucht er auch Bongs; vermutlich auf dem Hinterhof, wo die leeren Kartons gelagert werden. Wie sollte er den Job auch anders aushalten? Er zieht Tüte um Tüte, Karton um Flasche über das Glasfeld des Scanners, es piept, er wartet auf die Eingabe der persönlichen Geheimzahl, vergibt die Treueherzen. Er ist ein Bindeglied zwischen Scanner und Kartenterminal. Eine vierte Klasse hat sich geöffnet und er ist mittendrin.
Am Morgen hatte ich die Sonne aufgehen sehen in dem ehemaligen Café Kranzler, in dem angeblich sogar Helmut Kohl einst die Torte gelobt hatte (wie auch den Apfelstrudel im Hotel am Schlossgarten in S). Ralf Rüller hat die sogenannte Fläche nun übernommen und bespielt sie, wie es heißt, mit seinem Konzept namens The Barn, das in Prenzlauer Berg und Mitte bereits für Aufsehen und -regung gesorgt hatte, als es Donald Trump noch nicht gab. Passenderweise las ich dort den sehr informativen Artikel in der New York Times von Maggie Haberman, die sehr schön von der Freude des neuen Präsidenten an seinen Spielzeugen berichtet. Beispielsweise wie erstaunlich klar die Sprachübermittlungsqualität der Telefonleitungen im Weißen Haus doch ist. Erinnerte mich an Gottfried Benn, der auch nie darüber hinweg kam, dass sein Mäzen Oelze sich in Kastens Hotel zur Teestunde Lachs mit Toast und Butter bestellt hatte. Fand er, der in seine Gedichte auch gern mal das Wort »Avenuen« eingebaut hatte, weil es so schön weltmännisch klingt, auf die schönste Weise faszinierend, wie man auf solche Zusammenstellungen bloß kommt (Tee, Lachs, Toast, Butter).
Gewann dann nach dem Reh-Incident krachend im Monopoly. Mit meiner üblichen Taktik (je zwei Häuser auf die grünen Straßen, je vier grüne Häuser auf Schwanenwerder (34.000 Reichsmark) und Grunewald (20.000 Reichsmark). Dann, hinter dem Losfeld noch je ein Hotel auf Turm bzw. Huttenstraße (5/9000 Reichsmark). Die fungieren dann als meine Klingelbeutel, in die man im Vorübergehen noch ein bisschen was reintun muss, was aber nicht mehr ganz so wehtut im Vergleich. Später dann noch alle vier Bahnhöfe, dazu E-Werk und Wasserversorgung. Das Glück war mir hold, beziehungsweise: das Unglück, denn willing suspense of disbelief hin oder her: Ich beobachtete dennoch, dass ich zum Arschloch mutiert war durch meinen Erfolg. Gott sei Dank bloß für die Dauer eines Brettspiels.
Kommunismus ist aber auch keine Lösung. Die Menschen brauchen Beschäftigung. In einer generalbuddhistischen Offensive: Jedem einzelnen Tier auf dem Planeten seinen eigenen Wikipedia-Eintrag. Müssen ja nicht alle so lang werden wie der von Peter Handke.