28.3.2020

Das neue Album von Brian Eno gefällt mir ausgezeichnet, ich finde es nicht ganz so gut wie Northwest Passage von Merrin Karras, aber ein Stück, Celeste, ist wunderschön. Eno hat dazu ein Video gedreht, während einer Bahnfahrt. Er hat dabei die Kamera seines Telefons auf die vorbeiziehende Landschaft gerichtet. Das Ganze im Zeitlupenmodus und draußen auf den Feldern ist kein Mensch zu sehen.

Ich höre sehr viel solcher Musik seit dem vergangenen Sonntag, als ich zufällig diese Radiosendung erwischt hatte. Für mich passt Ambient, passen die elektronisch erzeugten Symphonien zu der Stimmung vor meinem Fenster.

Draußen ist es sehr viel stiller geworden. Es fliegt so gut wie überhaupt kein Flugzeug mehr. Morgens manchmal ein großer Hubschrauber. Selbst auf der Mainzer «Landstraße» mit ihren vier Spuren fährt kaum noch ein Auto vorbei. Das Martinshorn eines Rettungswagens tönt jetzt wie doppelt so laut oder halb so nah, auf jeden Fall klingt es dramatisch. Gestern drang mit einem Mal ein ungewohntes Sirenengeräusch durch die Spalte zwischen den Häusern und diffundierte dort schwach in den Hinterhof. In regelmäßigen Abständen wurde der Sirenenton von einer männlichen Stimme unterbrochen, die tatsächlich «Achtung, Achtung!» rief. Danach kamen Anweisungen, darauf wieder die Sirene. Es brannte wohl ein Haus. Weil es ansonsten so still war, bekam diese eine Komponente der städtischen Geräuschkulisse eine unangemessen große Bedeutung — größer noch als ein Martinshorn, weil eine Stimme zuhören war. Und weil es keinen konkurierenden Schall gab, war auch der Nachhall der Stimme zu hören. So als wäre die Welt draußen nicht bloß still, sondern leer. Und ich, wie bei Human League im Circus of Death oder bei Herbert Rosendorfer im Großen Solo für Anton der «last man on earth».

Aber der ungewohnte Sirenenklang mit der Männerstimme trieb bald auch die Mume auf den Balkon. In ihren Ohren muß es noch unheimlicher geklungen haben, denn sie versteht ja kein Wort Deutsch. Nach und nach strebte auch der Rest ihrer Familie aus der Zweizimmerwohnung, in der sie zu fünft leben, ins Freie zu ihr. Wir lauschten, konnten uns aber nicht über unser gemeinsames Hörerlebnis verständigen. Sie leben auch in angstfreien Zeiten ihre Isolation.