28.4.

Gerade kurz bevor am Himmel sich die Wolken rosa einzufärben begonnen hatten, es war kurz nach halb sieben, hatten wir in der Galerie Sprüth Magers einen abgedunkelten Raum betreten, in dem Leuchtobjekte von Otto Piene versammelt waren. Ich hatte ihn, den greisen Künstler, ja noch selbst erlebt, vor ein paar Jahren, als in der Nationalgalerie eine Retrospektive gezeigt wurde. Herr Piene trat an diesem Abend nicht zu spät ans Mikrofon und bedankte sich bei allen, also nicht nur bei denen, die anwesend waren. Am übernächsten Morgen las ich in der Zeitung, dass er auf der Heimfahrt von der Nationalgalerie auf der Rückbank eines Taxis gestorben war.

Ich fühle mich versucht, »dann« zu schreiben (»dann greift das Leben auf die tiefe Saite um« oder ähnliches), aber das wäre ein Trick, oder das Gegenteil davon, eine Nachlässigkeit, denn öfter als dies eine Mal habe ich es selbst noch nicht erlebt. Also gibt es für mich kein »dann« vor dem Satz mit dem glücklichen Tod, genauso wie es den glücklichen Tod nicht gibt, auch diese Formulierung ist ein Trick: Es will doch niemand sterben, jeder will nur einmal noch die sich rosa einfärbenden Wolken sehen dürfen. Und dann halt leider noch ein Mal.

Erstaunlich, denn in diesem Raum kommt man an die Objekte nah heran (in der Nationalgalerie hingen sie weit oben, und sie leuchteten auch nicht von selbst, sondern es wurde auf sie projiziert), wie die Geräte, die hängende Kugel, die aufgestellte Kugel, die Säule, der Wandschirm und die Sonderform gemacht wurden. Ausgehend von der hängenden Kugel, die er 1971 gemacht hat, und die noch aus zwei Aluminiumhalbschalen besteht, in die das Lochmuster gefräst worden war, geraten die Objekte mehr und mehr modellhaft. Der Künstler verwendet bald nur noch Pappe, um seine Idee darzustellen. An der Säule, sie stammt wie der Wandschirm aus dem 21. Jahrhundert, war zu sehen, dass er die Löcher längst nicht mehr regelmäßig haben wollte, sondern in das Material mit der Ahle einstach und perforierte, um der Lichtquelle aus dem Inneren heraus interessantere Wege zu erschließen. Gekrümmte, jedenfalls nicht gerade beschaffene; die mit den ausgefranstesten Rändern, die zum Teil noch von Pappresten bedeckten, gaben den interessantesten Widerschein an der Wand (nämlich muschelförmig: Muscheln, die aufblühen konnten, sein und vergehen.)

Claudius Seidl – wir sind zusammen älter geworden, so lange kennen wir uns jetzt schon – hatte sich in einem anderen Raum vor einer blauen Leuchte aufgestellt. Man durfte nicht zu lange hinsehen, sonst machte das blaue Licht einen schwindelig und zumindest ich hatte plötzlich zwischendurch auch einmal kurz Angst, es könnte mir heute noch ergehen wie dem Maler so beinahe am Schluss bei Proust, der sich die angeblich so schön gemalte Fassade in einem Bild von Jan Vermeer nur einmal noch genauer ansehen will, und dann denkt er, es läge an den Fritten, die er kurz zuvor zu Mittag hatte. Aber es ist halt nicht sein Magen, der rumort, es wird das Herz gewesen sein. Dann setzt er sich und dann ist er auch schon tot, beziehungsweise er verschwindet aus der Geschichte und kommt fortan, bis die Geschichte zuende erzählt wurde, dort nur noch in den Erzählungen der ausgedachten Personen vor. Aber was heißt nur noch? Wie wir alle. Hoffentlich.

Claudius jedenfalls hatte viel zu erzählen zu Jonathan Demme. Auch einiges, das nun, da Herr Demme tot war, kostbar geworden schien. Aber den Nachruf würde er nicht schreiben können, da er eine anderweitige Verpflichtung eingegangen war. Und so leben wir im Hinblick auf eine Spitze hin, und es bleibt uns halt doch nur ein einziger Wurf. Wenn wir Pech haben, schaut ausgerechnet dann gerade keiner hin, oder zumindest nicht die entscheidenden, oder die mussten aufs Klo, irgendwas ist nämlich eigentlich immer et cetera et cetera.

Dann gingen wir essen. Die Wolken färbten sich rosa, wie gesagt, und es wurde ein sehr schöner Abend. Also noch schöner als der gestern. Aber nicht so schön wie der heute. Und der morgen erst. Hoffentlich.