2.9.

Eigentlich hatte ich den asiatischen Supermarkt nur besucht, um meine Seifenvorräte aufzustocken. Nur dort gibt es diese herrlich duftende Seife aus marineblauem Material, die nicht nur eigenartig geformt ist, sondern auch noch antibakteriell wirken soll. Worauf es mir aber nicht ankommt, mir geht es allein um den schönen Duft, den diese Seifenstücke auch im unaufgeschäumten Zustand verströmen. Das ganze Badezimmer atmet auf. Vor Jahren wurde diese Seife noch in England hergestellt, mittlerweile kommt sie aus Nigeria, der Firmensitz wurde nach Mauritius verlegt. Durch den mehrfachen Export ist sie freilich etwas teuer, aber immerhin kommt sie so überhaupt auf den deutschen Markt.

Der Supermarkt ist riesig. Die langen Wände sind gesäumt von Kühlregalen, in denen es die eigenartigsten Tier- und Pflanzenteile zu kaufen gibt. Ich schaue mir das alles gerne an und muss dabei immer auch an Roland Barthes denken, der viel zu früh verstorben ist, um noch in den Genuss der Globalisierung kommen zu dürfen. Mit Roland Barthes im asiatischen Supermarkt, das wäre die Idee für eine Fernsehsendung, die ich selbst gerne anschauen würde. Zum Beispiel entdeckte ich dort gestern beim absichtslosen Schauen ein hübsch verpacktes Produkt. Dabei handelte es sich um ganze Quallen. Die waren transparent und, von einer klaren Flüssigkeit umgeben, in einer durchsichtigen Tüte aus dickwandigem Gummi eingeschweißt. Die Verpackung war in leuchtendem Pink in einer Helvetica bedruckt. Sah aus wie von Helmut Lang, kostete aber nur 8 Euro 90 das Stück. Ich war nahe dran zuzugreifen, vor allem auch, weil sich die Qualle so angenehm anfühlte. Ich muss da schon einige Zeit mit der Qualle in den Händen, versonnenerweise darauf herumtastend, vor dem Regal verharrt haben, bis es mir auffiel, wie eventuell geistesgestört das auf die anderen Kunden wirken könnte. Sogleich fielen mir die Worte Jack Piersons ein, einem Künstler, dem ich am Vortage nach New York geschrieben hatte, weil er am kommenden Dienstag nach dem Labour Day Weekend ein paar Fotos machen soll von einem greisen Keramikkünstler, dessen Miniaturskulpturen (sie sind kaum größer als ein Tennisball, wirken aber gigantisch) ich endlos faszinierend finde. Also schrieb ich ihm in ein paar Zeilen, wie ich sie sehe, was ich beim Anschauen dieser Skulpturen empfinde, in der Hoffnung, ich würde ja leider nicht anwesend sein können, dass sich mein liebender Blick auf seine Wahrnehmung überträgt. Ich schrieb, die Teile wirkten auf mich, als schaute ich auf vergrößerte Aufnahmen von Moos. Am Morgen darauf erhielt ich seine Antwort: »Thank you for sharing your enthusiasm Joachim.«

Ich finde es selten leicht, mich mit Amerikanern zu verständigen. Ich weiß auch nicht genau, woran es liegt, aber ich finde den Umgangston der meisten Amerikaner, mit denen ich es zu tun habe, lustbremsend. Vielleicht ist meine Begeisterung aber auch wirklich daneben. Nachdenklich legte ich die Qualle zurück ins Regal.

Später dann noch kurz auf dem Sommerfest von Matthes & Seitz, das an einem sehr schönen Ort am Helmholtzplatz eingerichtet war. Machte mich auch ein bisschen nervös, weil ich der einzige war unter siebzig. Ein Dichtergreis mit blond gefärbtem Haar hielt ein Glas Weißwein in der Hand und fabulierte vom kulturellen Niedergang des Prenzlauer Bergs. Nach dem Mauerfall habe sich dort eine knospende Blüte befunden. 2008 wurde sie dann von den dänischen und spanischen Investoren überflogen zur tödlichen Befruchtung mit Kapital.