29.7.

Es entspricht meiner Lebenserfahrung, dass sich Menschen mit Geld zwangsläufig zu absolutistischen Herrschern entwickeln, wie im Geschichtsbuch beschrieben. In meiner Klasse gibt es das nicht. Obwohl ich das wie auf den Zehenspitzen federnde Abwarten dort bei dem einen oder der anderen schon spüren kann. In dem Sinne also, dass bei ihnen der Moment schon herbeigesehnt wird, dass es passiert. Der Moment, an dem man sich vom bloß Befehlenden zu jemandem, der durch seine Befehle auch tatsächlich nach eigenem Wunsch gestaltet, aufschwingen wird.

Und wenn man Glück hat, dann landet man als einer von Nicht-Ihnen bei einem, der sein Gebäude nicht bloß zur Selbstverherrlichung aufrechterhält, nicht bloß zur weiteren Bereicherung; man landet bei einem, der sich sein Leben einfach nicht anders vorstellen kann, als so: inmitten eines Hofstaates – gleichwas ihn der kosten mag.

Sehr still war es geworden. Aus dem hinteren Teil der Redaktionsräumlichkeiten, wo die Grafiker saßen, war bloß noch das Klicken der Mäuse zu hören. Selbst das Rauschen des Vierfarbenkopierers war verstummt. Nichts mehr übrig, das zu layouten war. Sämtliche Ideen umgesetzt. Ein Wind, überall standen die Fenster offen, blies durch die beinahe menschenleeren Räume der Denkfabrik. Die Rückseiten der davon über den Fußboden gewehten Ausdrucke leuchteten weiß. Sie waren unbrauchbar geworden. Vor ein paar Tagen noch standen darauf eventuell wertvolle Informationen – in den Formen von Schrift oder Bild –, die in das Gestaltungssystem eingezogen worden waren, manche auch nicht. Was gedruckt würde, zählte. Selbst Google schwieg.

Irgendwann, ich weiß es genau, es war 23 Minuten nach fünf, konnte ich das Gebäude verlassen. Und dass es nicht regnete, schien wie ein Fehler. Da waren Menschen auf der Straße, Menschen in der S-Bahn. Ich hatte gelebt als ein schreibendes Tier.

Meine Freilassung feierte ich vor dem Easy Rider, dessen Wiederaufrichtung ich verpasst hatte – es war wohl vor einer Woche gewesen. Ist schön geworden, beinahe wie vor dem Niederbrennen, aber halt doch ein bisschen anders. Veränderungen mag ich ja eigentlich nicht. Ich bestellte bei Andreas eine Rote als Bratwurst und zwar extra dunkel, er fragte »Wo kommst Du eigentlich her«, weil nur Schwaben die sogenannte Curry mit Darm als Bratwurst bestellen. Und ich erklärte, dass es ein Festessen würde, unter anderem auch aus der Vorfreude heraus auf die Reise nach Hause, ins gelobte Land am nächsten Wochenende. Aber so wie die von mir als Königin der Würste gerühmte Stuttgarter Rote schmeckte seine »Curry als Bratwurst« dann doch nicht bis in die Feinheiten hinein.

Ich saß unter dem schwankendem Baldachin eines Ahorns mit Blick auf das flirrende Grün der alten Akazien, das ich so liebe. Dahinter stand unverrückbar eine weiße Wolke am Himmel. Schwalben kreisten in großer Höhe. Meine Pläne für morgen waren: viel einkaufen, viel essen, bis ich wieder müde bin. Think Orlando.

Auf dem Heimweg ging ich durch die Hintertür durch das alte Viertel. Hier war ich schon wochenlang nicht mehr gewesen, nicht bloß aus Zeitgründen, es hatte ja andauernd geregnet. Was ich, was wir alle hier währenddessen verpasst hatten! Mir kam es so vor, als war ich grünblind gewesen. Technicolor hatte ich in den vergangenen Wochen reichlich gesehen.

Auf dem Trottoir traf ich auf Markus, der seit kurzem ja mein Nachbar hier ist. Er sah erschöpft aus. Ich auch vermutlich, einen Spiegel gab es hier nicht. Aus der Buche sang, hochdroben, der Amselhahn. Er hatte ein Gefrierpaket mit Grillfleisch in den Händen, also Markus, und einen Kasten Bier. Damit ging er rein.

Frau Fröse, im letzten Sommer noch Dame, die sich von ihrem Psychiater Slash Chauffeur im Porsche Panamericana vor dem Café hatte vorfahren lassen, lebt mittlerweile in dem Wärmehäuschen auf dem Bahnsteig. Neulich traf ich sie im Supermarkt, wo sie Ansprachen an die Kassierer hielt. Sie breitet die Arme aus und ruft: »Nicht alle sind hier willkommen, aber er hier trägt oben Rot, Weiß und an seinen Füßen Blau!«

Es heißt, sie habe das Elternhaus in Heckeshorn versucht niederzubrennen.

Man zeigt Bilder herum.

Was aus ihrem Chauffeur geworden ist, das weiß niemand.

Frau Fröse geht barfuß. Sie ist sehr intelligent. Ihr neuer Begleiter trägt drei Armbanduhren am linken Handgelenk. Sie fuchtelt mit einem Schuhlöffel.