30.3.

Kinder wollen mein Haar berühren. Zwar sollte man seinen Friseur niemals wechseln, aber in letzter Zeit war es bei uns spürbar zu Unstimmigkeiten gekommen. Ich hatte den Eindruck, man nimmt mich dort nicht mehr ernst. In einer nicht zuletzt durch Naturphänomene – flirrende Schwärme hellgrüner Tüpfel zwischen den nackten Zweigen, seidig aufgeplusterte Haselkätzchen, Rasenmähergeräusche und meckernde Meisen, berstende Kirschblütenknospen entlang der Hiroshima-Allee –  verstärkten Frühjahrslaune, kehrte ich spontan und ohne telefonische Voranmeldung in jenen unbekannten Salon ein, der mir bei abendlichen Spaziergängen schon einige Male durch seinen großzügigen Behandlungsraum irgendwie aufgefallen war. Auch des Namens wegen, denn der war, wie in dem preiswerten Segment der Branche üblich, doch irgendwie lustig, als Wortspiel auf irgendetwas mit Haaren konzipiert, tat aber nicht direkt weh. »James Blond« klingt noch immer leicht dämlich, auch geht der Versuch, mit der Unterzeile »License to Cut« eine geschlossene Bildwelt herzustellen, nicht vollends auf. (Das Signet zeigt die Silhouette von Roger Moore im Smoking, der anstelle einer Pistole eine Schere in der charakteristisch abgewinkelten Hand hält.) Aber da die Wände der Räumlichkeiten, in denen ausschließlich Herren bedient werden, ausschließlich mit alten Plakaten von L’Oréal dekoriert sind, auf denen Catherine Deneuve für Blondierungsmittel und Haarspray wirbt, ergibt sich alles in allem ein in seiner Uneindeutigkeit neuigierig machendes Gesamtkunstwerk.

Ein Cousin des Besitzers betreibt zudem einen Spätkauf in der benachbarten S-Bahnstation, der sich durch ein ausuferndes Sortiment internationaler Zeitschriften von der im direkten Umfeld zahlreichen Konkurrenz hervorzuheben versucht. Das Sortiment kommt durch den guten alten Probeabotrick zusammen. Natürlich kauft in dieser Gegend auch kein Mensch Zeitschriften, und schon gar nicht im Spätkauf. Weswegen der Cousin seinem als Friseur tätigen Blutsverwandten die unverkauften Exemplare als Lektüre für den Wartebereichstisch abtritt. Ich las in einem Blatt namens Birdie einen Artikel über die heilsame Kraft (innerlich) von japanischen Worten. Beispielsweise Ichi-go, ichi-e (it’s like Yolo but on an interpersonal level). Das erschien mir zunächst nahrhaft, dann auch noch zutreffend für meine spontane Salonwechslungsaktion.

Der Haarschnitt selbst geschah eher zack-zack. Mein neuer Friseur griff sich die Sonderausgabe des Manager Magazins mit der Liste der 500 reichsten Deutschen und bat mich, mit dem Finger auf ein beliebiges Porträtfoto zu tippen. Die freilich klein und niedrig aufgelöst abgedruckt waren, weil die Liste derart umfangreich war. Beziehungsweise, weil es so viele reiche Deutsche gibt. Es wäre also auch das Modell Schickedanz möglich gewesen – oder Klatten. Der Friseur hing mir währenddessen atmend über der Schulter und als er in den Kontaktanzeigen ein Bild des Österreichers Martin Sellner entdeckte, zischte er »Hurensohn« und fing laut an zu lachen. Er verfügte dann, weil längst viele weitere Männer im Wartebereich Platz genommen hatten, dass er mir das Modell Entrepreneur verpassen wird. Wodurch es sich vom Modell Hurensohn im Detail unterscheidet, werde ich hoffentlich nie herausfinden. Es geht, time is money, rasend schnell. Kostenpunkt: 12 Euro. Beim Bezahlen – da Schweine an sich nicht halal sind, stehen für die Trinkgelder goldene Sparkälber auf dem Tresen aufgereiht – kam es auch dort, unter den Angestellten des Salons James Blond, zu klandestinen Schmunzelblicken, aber ich denke doch, ich werde noch einmal hingehen, denn auf zauberhafte Weise nimmt man mich in diesem Laden auf eine andere Weise nicht ernst.

Gespannt bin ich, was Alexander und Herbert, meinen Wasserhäuschenbekanntschaften in Frankfurt, zu meiner Frisur einfallen wird. Wir haben uns ja Ewigkeiten schon nicht mehr gesehen. Gibt sicher ein sogenanntes Großes Hallo. Ich reise dem Frühjahr entgegen als Sonnenscheins einz’ger Sohn.