30.4.

Auf Seite 240 konnte ich es nicht mehr länger ertragen und musste die Lektüre von Jetzt Alles Sofort abbrechen. Abigail Ulman beschreibt da gerade eine Sexszene zwischen zwei australischen Teenagern, die übrigen Szenen in diesem Buch scheinen direkt von Fernsehserien übernommen, aber hier wird es, zunächst unmerklich, persönlich. Dabei ist die Szene rein technisch formuliert, aber halt nicht mehr so, wie bei meinem Generationsgenossen Bret Easton Ellis, der seine Innenräume nach Abbildungen aus Einrichtungszeitschriften gestaltet hat und die Sexszenen vom Porno abschrieb. Bei Abigail Ulman haben die Teenager die Dramaturgie und die Dialoge der Pornos verinnerlicht, sie spielen auch nichts nach, sondern halten all dies, was sie aneinander tun, für ihre Natur. Und lügen sich nicht nur hinterher gegenseitig an.

»Gefällt dir das?«, fragte Zach.

»Äh…«

»Ich tu so, als ob’s dir gefällt«, sagte er.

»Ich auch«, sagte Elise.

Sie lachten.

Ich las dann noch einige Zeilen, es wurde nur noch herzloser, und auf dem Umschlag ist ein Foto der Autorin im Sommerkleid abgebildet, die gesund und fröhlich in die Kamera schaut. Dahinter unscharfe Pflanzen.

*

Am Nachmittag ging ich dann zwei Stunden vor der Eröffnungsfeier in die Galerie Sprüth Magers, um mir die Installation von Alexandre Singh anzuschauen. Jan hatte mir geraten, dass ich mir Zeit nehmen sollte, weil es sich bei The School for Objects Criticized um ein Theaterstück handelte. Und saß dort also in einem komplett schallgedämpften, schwarz ausgeschlagenen Raum, in dessen Mitte auf unterschiedlich hohen Podesten sieben Gegenstände ausgestellt waren: ein Kassettenrekorder CAS 1500 von Califone, ein Kassettenrekorder mit Radioempfangsteil CAS 5272 des gleichen Herstellers, ein Toaster, ein origamiförmiges Kunstobjekt, eine Spiralfeder, ein Kanister mit Chlorbleiche der Marke Chlorax in der Duftnote Fresh Meadows, sowie ein ausgestopftes Stinktier. Das Stinktier tat glücklicherweise kaum etwas zur Sache, denn die darüber befestigten Scheinwerfer erteilen sozusagen den Gegenständen das Wort, und das Stinktier blieb die meiste Zeit der einstündigen Aufführung über im Dunkeln. Der Chlorbleichenkanister hingegen redete ziemlich viel, denn schon nach wenigen, für den willing suspense of disbelief-Effekt nötigen Minuten meldete das Gehirn des Betrachters, also nicht nur meins: die Clorflasche spricht. Und das natürlich »ätzend«, das gibt sie auch gleich zu Beginn dieser Party unter Dingen zu bedenken, dass dies nun einmal ihrem Naturell entspräche, ätzend zu wirken. Reinigend halt aber auch. Und so wirft dann ungefähr nach einer halben Stunde der Toaster eine existenzielle Frage in die Runde: »But I’m sorry, where do we… I mean… Where is it that us in this room… Where is it that we came from?«

Woraufhin der Scheinwerfer über der Chlorflasche angeht: »Baby, can you be that naïve [lowering his voice to an intimate leve]. Listen, when two bleach bottles love each other very much, hey go into a dark cupboard – you know, the one under the kitchen sink. They close the door behind them [speaking with increasing desire] and passionately they begin to take off each other’s labels. Caps unscrew, fluids ooze down curved flanks –«

»Please«, schreit die Spiralfeder »Can we leave your voluptuary till later? Why don’t you give me a hand taking the glasses into the kitchen?«

Ende der vierten Szene. Es waren weder Gläser noch war eine Küche zu sehen.