30.4.

Der Nachtigallenhahn ist zurück. Heute früh, als wir heimkamen, war es lang nach Mitternacht, drang aus dem Inneren des dunklen Baumes sein langes Lied, das ich vergessen hatte. Und ich erkannte es sofort wieder.

Vor dem kleinen Hotel gegenüber standen die Mannschaftswagen der Polizei aufgereiht und an einem Rettungswagen, der auf dem menschenleeren Vorplatz parkte, waren die Blaulichter angestellt. Ein mystisches Bild. Die Polizisten waren schon morgens eingetroffen, sie sind zum Schutz des Hotels während der Maikrawalle abgestellt. Die finden zwar traditionell in Kreuzberg zwischen Mariannenplatz und Kottbusser Damm statt, aber man weiß ja nie. In letzter Zeit waren auch hier draußen an den Wochenenden Flugblätter verteilt worden, auf denen zum Boykott des kleinen Hotels aufgerufen wurde. Grund freilich: Alexander Gauland. Beziehungsweise, dass er alle paar Wochen seine AfD-Ortsgruppe zum Treffen in dieses Hotel einlädt. Seine Gründe wiederum sind leicht nachvollziehbar: das Hotel liegt extrem verkehrsgünstig. Es gibt Parkplätze vor der Tür (die mittlerweile allerdings von den Mannschaftswagen in Beschlag genommen werden). Die Mahlzeiten sind bodenständig. Es gibt beispielsweise ein annehmbares Truckersteak XXL. Die Matjes (Hausfrauenart) sind delikat. Das liegt unter anderem daran, weil der Wirt, ein Balte, eine Connection zu Ostseefischern hat. Generell sind deshalb die Fischgerichte dort den Fleischgerichten vorzuziehen. Das gilt auch für die Desserts. Aber eigentlich laufen die Geschäfte nicht gut genug, trotz der Nähe zum Strandbad, dem Biergarten und den Ablegestellen der Ausflugsschiffe und der Fußläufigkeit zum Haus von Max Beckmann und dem benachbarten Haus der Wannseekonferenz. Das Hotel steht schließlich direkt an den Gleisen der S-Bahn und ist sogar im Gebäude des Bahnhofes untergebracht, weshalb der Wirt auch keine Saalbuchungsanfragen ablehnen kann. Schon gar keine regelmäßigen. So sind nun mal die Sachzwänge, so sieht es faktisch aus mit sozialer Marktwirtschaft. Das hatte bereits im vergangenen Sommer zu einer Protestaktion der Antifa geführt, die dem Hotelbesitzer ihre schwarze Flagge auf die Blumenkübel und auch an die Fassade gesprüht hatten. Seitdem finden die Zusammenkünfte unter dichtem Polizeischutz statt. Die Beamten gehen in riot gear eingepackt vor dem Hotel auf und ab, oder halten sich im Inneren ihrer Mannschaftswagen bereit. Es passiert natürlich nichts. Aber man weiß ja nie. Die Versammlungsfreiheit wird als Grundrecht garantiert und ich frage mich, was wäre, wenn der Staat auch sämtliche Veranstaltungen der FDP mit Polizeischutz absichern müsste. Oder die der SPD.

Ich fragte mich aber auch, womit das Nachtigallenhuhn beschäftigt ist, bevor es sich vom Gesang des Nachtigallenhahns anlocken lässt. Welchen Geschäften sie sozusagen eigentlich nachgeht. Im vergangenen Jahr sang er bis weit in den Juni hinein, hatte also wahrscheinlich keine Partnerin überzeugen können, denn sobald ihn eine Nachtigall erhört hat, stellt er das schöne Singen ein. Auch wenn es für ihn selbst und den Fortbestand seiner Art unschön wäre, wünsche ich mir, dass der kleine Sänger auch in diesem Jahr wieder zu kurz kommt – und einsam bleibt. Dann treibt ihn vielleicht ja der Leidensdruck dazu, noch bis zu seinem Abflug nach Afrika im Herbst durchzuflöten. Immerhin sang er heute kurz vor Mittags schon eine Stunde lang tagsüber. Es scheint ihm also wirklich dringend zu sein.