30.8.

Man solle, hatte Doktor Benn verschrieben, ab und an mal aufs Wasser schauen. Aber manchmal werde ich dem auch müde, vielleicht liegt es daran, dass ich es jederzeit haben kann. Dann fahre ich zu dem kleinen Gasthaus am Ufer der Schnellstraße und schaue mir von der Terrasse dort nach Sonnenuntergang den River of Brakelights an. Und die Leuchtbuchstaben der Sparkassenfiliale gegenüber, von denen in jeder Woche vom Wortende her ein weiterer stirbt. Gestern stand dort Spark. Das vorletzte A bereits zur Hälfte erloschen.

Dass George Spencer Brown gestorben ist, vielleicht schon am letzten Donnerstag, habe ich aus einer Randspalte im Feuilleton erfahren. Die Kolumne war so geschrieben, dass ich viele Zeilen lang nicht verstanden habe, worauf es hinaus laufen würde. Und die für mich interessante Nachricht vom Tod George Spencer Browns wurde dann unvermittelt kurz vor Ende des Textes gebracht.

Vor ein paar Wochen hatte ich immer wieder versucht, ihn zu erreichen. Ich hatte ihm Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen, ihm geschrieben. Aber ich war nie zurückgerufen worden und es hob nie jemand ab. Die Nummern und Adressen hatte ich einer deutschen Ausgabe seines Only Two Can Play This Game entnommen, das vor ein paar Jahren in einem Kleinverlag erschienen war. Für diese, leider grottenschlecht übersetzte, herzlos gestaltete Ausgabe hatte er noch ein weiteres Vorwort verfasst, an dessen Ende er seine Telefonnummern und Adressen gesetzt hatte. Verbunden mit der Bitte, ihn anzurufen, mit ihm in Kontakt zu treten, ihn mit Fragen zu belästigen. Ich hatte keine Frage, ich hatte eine Bitte: Ob ich ihm bitte eine anständige Übersetzung machen dürfte. Denn die im sogenannten Bohmeier Verlag erschienene Ausgabe hatte mit seinem Text eigentlich nichts gemein. Es war nicht nur von der Qualität der Übersetzung her schlecht gelaufen, vor allem hatte man dort aus was weiß ich für welchen Gründen, die gesamte Struktur des Buches, seinen Aufbau, in dem ein großer Teil seiner Schönheit besteht, durch mir willkürlich erscheinende Kürzungen zerstört.

Only Two Can Play This Game ist 1971 erschienen. Es ist ein Buch über die Liebe: »Man has nothing to say on its own, but what he says he gets from the woman. The woman has it complete but she has no voice to say it, the man is the voice; he is the poet and she is the muse. And if the voice of man divorces from its feminine source and thinks it can say it all on its own, then we get this nightmare – or comedy if you like to look at it that way«. Den Text entwickelt George Spencer Brown vom Ende seiner Liebeserfahrung her. Es beginnt mit einem Bild von den Toren des Himmels, die sich alle 500 Jahre nur für einen Augenblick öffnen. Doch er kommt zu spät. Und muss nun weitere 500 Jahre warten. Warum es schief gegangen ist, erfährt der Leser in Andeutungen. Es waren wohl familiäre Zusammenhänge, kulturelle Unterschiede zwischen seiner Herkunftswelt und der seiner Braut. Nun ist die Tür geschlossen, das Bild der Tür wiederholt sich. Ansonsten macht der Text formal vier Wandlungen durch. Es gibt zunächst mehrere Vorworte (Vorwort zum Vorwort, Einführung, Brief vorab (»Lovely Girl,«)), dann ein Hauptstück, das aus elf Gedichten besteht. Diese Gedichte formulieren die Klage. Dann kommt die sogenannte Ausführung. Und ein Postscriptum. Hier ist aber erst die Mitte des 144 Seiten umfassenden Bandes erreicht. Denn nun gibt es eine kommentierte Bibliothek, geordnet nach Schwierigkeitsgraden (easy, harder, hard). Dann erst nähert er sich einem Schluß an mit der sogenannten Abschiedsreise.

Es ist das wertvollste Buch, das ich besitze. In jeder Beziehung. Zum Glück kann ich es lesen. Wer die deutsche Ausgabe gekauft hat, versteht leider kein Wort.