30.8.

Beinahe eine Woche lang musste ich auf das iPad verzichten. So lange dauerte die Reparatur der Glasplatte, über die ich es bedienen kann. Das Unglück war passiert, als die das Gerät umgebende Tasche von einer überraschend betätigten Türklinke abgerutscht und zu Boden gefallen war. So etwas prägt sich ein. Der Stoß des Aufpralls hatte dann, so ließ es sich rekonstruieren, von einer der vier abgerundeten Ecken des Metallgehäuses aus den Glasdeckel tsunamihaft durchfahren, dergestalt, dass von dort aus nur noch Brösel in der einen Ecke über langliederige Splitter auslaufend die gesamte Oberfläche unterteilten. Glatt so, als ob man aus kurzer Distanz in die Eisdecke eines winterlichen Sees gefeuert hätte. Sah freilich wunderschön aus mit dem darunter leuchtenden Bild und dem in Schwarz abgehobenen Netz von Bruchkanten. Das Gerät war damit hin.

Und damit begann für mich ein veritabler Grind, wie er in der deutschen Literaturgeschichte zum letzten Mal von Rainald Goetz dokumentiert worden war, als er sich eine neue Matratze kaufen wollte. So ähnlich also, so langwierig auch, aber auch so anders. Oft musste ich an Spandau Ballet denken, und wie weise die auf ihrer zweiten Platte, die den Knaller True beinhaltet, ein auch sehr schönes Stück aufgenommen hatten, das nicht bloß Communication heißt, sondern auch noch davon handelt – sehr lange vor der Erfindung des Mobiltelefons (im Videoclip wird noch mit an den Restauranttisch servierten Festnetztelefonhörern an weißen Spiralkabeln kommuniziert); noch sehr viel länger vor jener Erfindung, die der Consigliere einst auf einer von Jans Geburtstagsfeiern mit kritischem Blick kritisiert hatte: »Wer denkt sich denn bitte so etwas aus — ein Telefon aus Glas

Nun hat eben diese Erfindung einen Geschäftszweig hervorgetrieben – langweilig wird Marktwirtschaft halt tatsächlich nie –, der sich ausschließlich mit der Reparatur zerbrochener Telefone beschäftigt. Beim Nafri an der Ecke kann man sein iPad Pro allerdings nicht einliefern. Die zwar komfortable, aber halt auch sehr große Glasscheibe wird dort nicht bevorratet. Mein aufhaltsamer Weg führte mich dann schließlich doch nach Kreuzberg, in einen sprichwörtlichen Hinterhof, in dem man früher wahrscheinlich auch schon einmal eine tatsächliche Glaserei (für Fenster und Artverwandtes) vermutet hätte. Im ersten Stock dort stand die Türe offen, weil gerade Limonadenkisten angeliefert wurden. Der Empfangstresen war aus Europaletten gezimmert, über dem Kunstledersofa hing ein großer Schwarzweißausdruck jenes Fotos, das die Pariser Kommune beim Rauchen mit nackten Frauen auf den von Oscar Niemeyer eigens für das Rauchen mit nackten Frauen in der Pariser Kommune entworfenen Sesseln zeigte. An der Tür dieses Etablissements – also an der wirklichen Tür, nicht an der auf dem Foto – hing ein Schild mit dem altvertrauten Logo aus vier bunten Würfelchen. Darunter stand Axel Springer Mediahouse. Vermutlich wurde dort also eine App zum Hundefuttervertrieb programmiert.

Im nächsten Stockwerk Architekten, die braucht man ja auch ständig, und darüber residierte die Werkstatt für gebrochene Telefone aus Glas. Die machen nichts anderes. Und gehören anscheinend auch zum Konzern Axel Springer, denn auf der Wartebank, einem ralphlaurenhaft abgeschabten Sprungkasten aus dem deutschen Turnunterricht, lagen wie absichtslos verstreut ausnahmslos Zeitschriften aus den konzerneigenen Verlagen: die Kunstzeitschrift Blau, die Musikzeitschriften Metal Hammer und Musikexpress, die Modezeitschrift MeStyle und die Bildzeitung Bild. Ansonsten, es ist ja glaube ich nicht so schwierig, Glasplatten auszutauschen, arbeiten dort interessanterweise lauter Männer, die aufgrund ihrer Meniskusprobleme nicht mehr als Radkuriere arbeiten können, aber noch immer so aussehen, auch von den Frisuren her, als könnten sie doch. Auch vom Umgangston her, von ihrem Lingo. Es hat sich also, Stichwort Marktwirtschaft und Spandau Ballet, seit den späten achtziger Jahren über der Klasse der Radkuriere eine vergleichbar freigeistig gesinnte Klasse von Entrepreneuren etablieren können, die sich natürlich noch immer am filmischen Vorbild des klempnernden Anarchen Harry Tuttle orientiert. Fahrradkuriere gibt es immer noch. Mein repariertes iPad wurde mir dann von einem solchen gebracht. Und unterhalb der Radkuriere sprießen die Radler mit dem Thermorucksack von Foodora und was es da an Essensbringdiensten noch so gibt.