3.1.

Kaum dass wir aufgelegt hatten, kam von meiner Mutter noch eine Nachricht: Mein Füller war wieder aufgetaucht! Sie schickt ihn mit der Post nach Berlin. Mal schauen, wer von uns beiden eher dort eintrifft: er oder ich (mit dem ICE). Seltsamerweise wollte und wollte mir nicht einfallen, wo sich das Briefzentrum in Stuttgart befindet. Hier in Frankfurt kannte ich es ja mittlerweile zumindest von außen.

Auf jeden Fall aber fängt das Jahr somit gut an, ich las die Nachricht vom wiedergefundenen Füller nur zwischendurch und eingeschoben in meine Lektüre des großen Textes von Reinhard Mey, der in der Zeitung unter der selten vergebenen Rubrik »Ereignisse und Gestalten« gebracht worden war. Er erzählt den Anfang seines Lebensweges im Jahr 1967. Sehr schön und, wie beinahe immer, wenn es um die Ereignisse aus einer Zeit vor den Neunzigerjahren aus heutiger Perspektive geht, auch ganz schön abenteuerlich (Leben mit fast ohne Geld!). Vor allem kann er, Reinhard Mey, halt wirklich gut schreiben. Freiwillig würde man das ja nicht unbedingt lesen wollen, wenn ein Musiker seinen Werdegang beschreibt; also ich jedenfalls nicht (aber auf der Seite war schwarz-weiß das Bild eines sturmumtosten Helikopters abgebildet gewesen und darüber, von viel Weiß umgeben, nackt und bloß die Worte »Sturm und Drang«, die hatten mich angelockt; wobei das ja, wenn ich es allein so beschreibe, auch wieder tief blicken lässt. Also gerade nicht tief – oder nicht gerade).

Die Amaryllis war aufgegangen. Eine zweihälsige Blume mit insgesamt vier Blüten, alle in rot, die, als ich hier kurz vor Weihnachten eingetroffen war, noch sämtlich in grün verschalten Knospen steckten. Wenn ich in der Bahnhofsunterführung oder sonstwo ausgewachsene Amaryllis in ihren langen Kartons aus Holland oder Indonesien liegen sehe, bekomme ich fast immer Lust, mir eine zu kaufen, um in ihren Stiel hineinzubeissen, weil diese Stiele etwas Zwiebeliges auf mich ausstrahlen. Bei den kleinen hier ist das anders, aber die wachsen ja auch aus einem mit Erde gefüllten Topf und von daher gibt es keine Schnittfläche zu sehen, die mich zum Stengelbiss verführen könnte.

Am Himmel war eine lehmfarbene Wolke erschienen, der Himmel war durch sie allein zu einem Himmel auf einem Gemälde aus den Zwanzigerjahren geworden und wir hörten das Köln Concert von Keith Jarrett, alle Sätze, bis es dunkel war.